Spanien - damals (vor 20 und mehr Jahren..)

von den Iberern bis zur Neuzeit
Tiburona
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Re: Spanien - damals (vor 20 und mehr Jahren..)

Beitrag von Tiburona »

Guten Morgen, herrlicher Tag scheint es zu werden - und ich habe das frühe Aufstehen seit meiner Jugend beibehalten - auch in meiner "wilden Zeit" waren wir immer früh aus dem Bett - lieber wurde in der Siesta in der Hängematte im Schatten der Bäume mal gedöst aber früh am Morgen war es noch nicht zu warm, um zu arbeiten. Arbeit - das war: Wäsche waschen, Haus putzen, aufpassen, dass freundliche andere Hippies einem die Eier im Hühnerstall nicht klauten (4 Hühner waren mein ganzer Stolz), sich um das bisschen Gemüse im eigenen Garten kümmern oder auch ganz früh zum Wochenmarkt oder zum Hafen, um Fisch usw zu kaufen. Im bürgerlichen Denken bestand ja immer die Meinung, dass Hippies nur LSD nehmen, Marihuana rauchen, kreuz und quer liebten, sich nicht wuschen und nur faulenzten - das mag auf wenige zugetroffen haben, aber ich glaube, kaum eine Bewegung hat Menschen so viel an sich selbst arbeiten lassen wie gerade diese Zeit. Und das Erstaunliche - vieles, was heute zur Selbstverständlichkeit gehört und damals vom sog, Establishment verhöhnt wurde - ist heute beliebte Dienstleistung und Gewerbezweig. Ob Yoga, Reiki, transzendentale Meditation, gesunde Ernährung, Vegetarismus, Ayuveda, Kindererziehung oder Tierschutz, alternativer Anbau im Garten und weg vom überflüssigen Schnickschnack ... alles das wurde in den 60ern und frühen 70ern belächelt und heute ... heute gibts Wellnesshotels, alternative Energie und ein breites Bewusstsein für die Umwelt in der Öffentlichkeit, Erziehungsmethoden haben sich gewandelt und auch die Schulpädagogik und der Umweltschutz.

Diese Gegenbewegung stammte aus Elternhäusern die sehr streng und konservativ waren, junge Leute, die entweder im Krieg oder kurz danach auf die Welt kamen und die nicht selten zu hause noch einen alten Nazi im Keller hatten.... oder auch zwei ..
Wir hatten die ganz große Chance, einem wunderbaren Rattenfänger zu folgen, der uns auf die Ungerechtigkeit und Falschheit der Eltern hinwies und uns nicht etwa ins Verderben führte sondern in eine pazifistische Gegenkultur, in der die Freiheit geradezu explodierte und Lebensfreude und Farbenrausch und Hedonismus einerseits über und regnen ließ aber eben auch die Erkenntnis, das wir ein Teil dieser Schöpfung sind, die ihre Zerstörung aufhalten und vielleicht verhindern kann. Wir trafen uns viel in kleinen Gruppen - ich zB war 1-2 Mal in der Woche in einem Freundeskreis, in dem ich die Jüngste war - da wurden Bücher gemeinsam gelesen und diskutiert - es waren einige sehr kluge Köpfe darunter, besonders an Egon erinnere ich mich - er war 20 Jahre älter als ich, ein kleiner Mann mit einer unglaublichen Ausstrahlung und einem enormen Wissen. er war meistens der Gesprächsleiter, wenn man es so nennen will - und gab entscheidende Impulse ... eines der Bücher, das wir zusammen lasen war "Die Gesellschaft und das Böse - Eine Kritik der herrschenden Moral." von Arno Plack - ich muss sagen, dieses Buch war eine ein zige Offenbarung für mich und zog so manchen noch vorhandenen Schleier weg ... und es ist auch heute, in aktualisierter Fassung, immer noch ein Buch, das ich nur empfehlen kann.

Dieser Egon hatte in München Musik studiert und ein großer Kenner klassischer Musik - und so saßen wir - so ca 12-15 Freunde - gerne bei ihm im Patio seiner kleinen Finca, tranken selbst gemachte Limo und futterten Feigen, wenn er uns Meisterwerke der klassischen Musik auf dem ollen DUAL Plattenspieler vorspielte und uns die einzelnen Sätze erklärte - ich wüsste jetzt im Moment tatsächlich keine Gruppe junger Leute, die das noch macht :-))
Ich will aber nicht verherrlichen - es gab auch viele gescheiterte Existenzen, viele, die sich das Hirn weggesoffen oder mit Drogen erweicht haben und die nichts mehr hatten als die Angst vom Tod oder die in der geschlossenen Abteilung landeten. Nur Sex, Drugs and Rock and Roll war und ist eben keine Alternative - ich hab hier einen Bericht aus dem Spiegel zu einer arte-Doku, die vor einigen Jahren lief, bestimmt interessant für die eine oder andere zu lesen ...

Hippie Doku
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kuba
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Re: Spanien - damals (vor 20 und mehr Jahren..)

Beitrag von kuba »

ein schöner Bericht von Dir................irgendwie geht es mir so, dass man dann so richtig Sehnsucht bekommt...nicht dass damals alles besser war, sondern vielleicht eher, dass man noch unbeschwerter war, noch nicht so fest eingebunden und einfach auch schöne Erfahrungen machen konnte und durfte......
liebe grüße
kuba
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Oliva B.
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Re: Spanien - damals (vor 20 und mehr Jahren..)

Beitrag von Oliva B. »

kuba hat geschrieben:ein schöner Bericht von Dir................irgendwie geht es mir so, dass man dann so richtig Sehnsucht bekommt...nicht dass damals alles besser war, sondern vielleicht eher, dass man noch unbeschwerter war, noch nicht so fest eingebunden und einfach auch schöne Erfahrungen machen konnte und durfte......
Das hast du gut auf den Punkt gebracht, kuba... War damals eine schöne Zeit, und wir waren noch so jung!

Während der 60er Jahre fand ein gesellschaftlicher Umbruch statt, meine Güte, wie ging damals die Post ab:
Sexuelle Revolution mit Oswald Kolle, die Beatles und die Stones, Wirtschaftwunder und Vollbeschäftigung, die ersten Gastarbeiter kamen, Raumfahrt und erster Flug zum Mond, Studentendemonstrationen und RAF, die meisten Deutschen leisteten sich dann das erste Auto oder einen Fernseher und die Jugend verabschiedete sich vom Gelsenkirchener Barock ihrer Eltern und deren Spießbürgertum. Eine aufregende Zeit, von der du, Lotti, uns hoffentlich noch mehr erzählst.

Ich freue mich auf die Fortsetzung! :-D
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Rioja
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Re: Spanien - damals (vor 20 und mehr Jahren..)

Beitrag von Rioja »

Hallo zusammen

Keine Angst, ich möchte euch nicht mit meinem Lebenslauf belästigen. Wie schon geschrieben, waren dies die Hippie- oder Aussteigerzeit. Das Nachschulalter war eigentlich ganz normal, für mich wenigstens. Machte eine gute Lehre und mit Hippies hatte ich gar nichts am Hut. Ging ja schon sehr schlecht mit langen Fäden Radsport zu betreiben. Da hättest die Haare meist im Kettenrad oder am Lenker verfangen gehabt. Auch von der Hygiene her nicht ganz optimal, denn beim Sport schwitzte man doch sehr viel mehr als beim zupfen an den Saiten.

Zum Thema "Spanien - damals". Wir, "meine" Frau und ich fuhren zum ersten Mal gemeinsam nach Spanien im Jahr 1968. Es war unsere Hochzeitsreise. Nun aber Schluss mit Privatem und zum Thema. Damals wurden in Palamos die ersten Hochhäuser gebaut. Von Autobahnen noch keine Spur. Das Essen wohl billiger als heute, doch selbst vier Jahre nach meinem Lehrabschluss konnten wir es uns nur gerade Mal zweimal erlauben, im Restaurant zu essen. War auch nicht schlimm, denn im Zelt auf dem Campingplatz wurde aus den Zutaten vom Markt trotzdem gut gekocht.

Auf dem Campingplatz hatte es damals noch keine moderne WC-Anlage. Eine ganze Reihe von Häuschen nebeneinander mit den leiden Stehtoiletten, wie man sie leider sogar heute noch auf Frankreichs Autobahnraststätten findet. Wenn du dein Getränk etwas kühl wolltest, musstest damals warten bis der Eismann mit Eisblöcken mit hupen vorfuhr. Auch Brot bekam man damals noch lange nur als Baguette. Süssigkeiten oder Patisserie, eigentlich ein Fremdwort. Natürlich bekam man auch damals schon von Fett triefende Churros. Glace auch, doch davon liess man als Mitteleuropäer doch besser die Hände, denn Durchfall war nachher fast sicher. Beim Fleischer war das Angebot auch viel kleiner als heute. Manchmal fast etwas unappetitlich, was da noch alles verkauft wurde. Von angetrockneter Lunge bis zu Hühnerfüssen. Doch viele Menschen in Spanien konnten sich kaum mehr leisten und gekocht, gab das immer noch eine Suppe. Natürlich fehlten in Catalunien auch damals der Chorizo und natürlich die Catalana nicht. Ich glaube, dass die Catalana damals besser war als heute. Mag daran liegen, dass damals mehr Knoblauch verwendet wurde wie heute.

Hilfsbereit und freundlich waren die Leute zu uns Fremden stets und wussten es zu Schätzen, dass meine Frau Spanisch sprach, was damals für Touristen nicht unbedingt Standart war. Schon damals "schalteten" die Catalanen von Catalan auf Castilliano um, und sprachen bewusst etwas langsamer. Auch hatte man damals mit den Beschriftungen von weiss Gott auch was, keine Probleme, denn geschrieben wurde in Spanisch. Die Kinder in den Schulen hatten auch damals eine Schuluniform, wie meist heute noch. Nur warteten damals die Mütter mit den kleinen Geschwistern an der Hand bei Schulschluss auf die Kinder und nicht wie heute mit dem laufenden Motor des Zweitwagens in den verstopften Strassen vor der Schule.

Damals war es noch durchaus Mode, dass man bei irgendwelchen Unpässlichkeiten zum Apotheker lief um ihm das "Leid" zu klagen. So auch ich, weil ich, trotzdem ich nicht an die Sonne lag, Verbrennungen "auflas". So gab es dann eine lindernde Creme und den Ratschlag "Nada de Playa". Zu jener Zeit war noch überall die Guardia Civil am "Ruder". Mit ihren steifen Lackhüten und dem doch sehr autoritären Stiel sorgten sie für Ordnung.

Die Landwirtschaft hatte damals noch ein ganz anderes Bild. So sah man eigentlich noch keine Maisäcker oder Kleewiesen um Schweine und Rinder zu mästen. Die Ställe waren damals noch klein und Kühe hatte es in jedem Dorf. An den Hausfronten konnte man dies durch die grösseren Türen sehen. Sie konnten kaum auf die Weide und wenn schon, wurden die wenigen Tiere an den Bächen entlang getrieben, wo es saftiges Gras und grüne Sträucher hatte. Der Weinbau hatte damals seine "Blüte" und Reben standen um die Dörfer, so weit man schaute. Bewirtschaftet wurde damals alles von Hand und es hatte wenige Rebsorten wie heute. Der Wein war auch anders und wurde erst viel später mit den Sorten wie Cabernet verfeinert. Schade oder Gut?

Noch ein letztes. Wenn man dann heimfuhr in Richtung Spanischen - Französischen Grenze musste man sich noch durchs Dorf Perthus quälen. Der Grenzübertritt war damals etwas beschwerlicher als heute, wo schon gar niemand mehr an der Grenze steht.

Denke, dass es eine schöne Zeit war. Wie wahrscheinlich jede davor und jede danach auch, wo es doch Sachen gibt, nach denen man sich in Freude zurück sehnt und solches das man nicht sehr vermisst.
Es grüsst

Rio



Zwanzig Kilometer von der Küste entfernt, fängt Spanien meist erst richtig an.
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