Die Nation, die das Motto "Savoir vivre", der unbeschwerte Lebensgenuss, für sich in Anspruch zu nehmen scheint, sich mit einer Esskultur vom Allerfeinsten brüsten kann, ein Volk, von dem sich die Deutschen die Begriffe Gourmet (sachkundiger Genießer raffinierter Speisen und Getränke) und Gourmand (Naschkatze/Fresser, Vielfraß, der sich durch fehlende Mäßigung auszeichnet) entlehnt haben, dieses Volk schafft es selbst im 21. Jahrhundert nicht, den Standard ihrer öffentlichen Toiletten auf dasselbe hohe Niveau wie das ihrer weltberühmten Küche zu bringen. Das „gastronomische Mahl der Franzosen“ wurde 2010 als immaterielles Weltkulturerbe von der UNESCO anerkannt. Dabei waren es die Franzosen, die das Bidet zum Zwecke der Reinlichkeit erfunden haben und seitdem über andere Völker die Nase rümpfen, die diesen Hygienestandard nicht haben. Bidets sind insbesondere im südlichen Europa verbreitet (speziell Frankreich, Griechenland, Italien, Spanien, Portugal), in der Türkei, den arabischen Ländern und in Lateinamerika (hier sind Brasilien, aber vor allem Argentinien und Uruguay zu nennen, in denen Bidets in circa 90 % aller Haushalte vorhanden sind).
Jedes Mal wenn ich durch Frankreich fahre und dem innerlich angestauten Druck nachgeben muss, dasselbe Vabanquespiel, denn es gibt drei Möglichkeiten:
- Autobahnparkplätze (Aire de/du ***) mit WC-Häuschen.
Um die geht es mir hier eigentlich. Davor sollte man nur im äußersten Notfall (Oberkante Unterlippe) anhalten, denn es wartet keine Toilettenfrau mit einem Feudel zur Reinigung in der Hand und einer Untertasse voller Kleingeld auf Kundschaft. Eine engmaschige Reinigung scheint es nicht zu geben. Hinter den Türen findet man auf engstem Raum eine Hocktoilette: Dies ist quadratisches Becken mit zwei kleinen Abtritten (im wahrsten Sinne des Wortes), die man möglichst nicht verfehlen sollte, denn was sich manchmal daneben befindet, will man eigentlich weder sehen noch mit den Schuhen berühren.
Doch trotz ausgefeilter Technik und an den Tag gelegter Geschicklichkeit, lassen sich Spritzer kaum vermeiden: Nicht nur bei der eigentlichen Verrichtung, sondern auch beim Betätigen der Spülung: Wer da nicht schnell genug vom Rand der Schüssel springt, wird gnadenlos von der unappetitlichen Gischt erwischt. Doch Vorsicht: Nicht zu schnell von den Trittplatten hüpfen, denn dann läuft man Gefahr, auf den glitschigen Fliesen auszurutschen. Muss ich erwähnen, dass man weder nach Toilettenpapier noch -bürste Ausschau halten muss? Nun kommt die nächste Hürde: Die Türen dieser Verschläge gehen nach innen auf und drängen den erleichterten Benutzer zurück in das Becken, das er gerade voller Ekel verlassen hat. - Das ist wohl auch der Grund, warum es so manch einen in die Natur verschlägt, was jedoch picknickende oder Beine vertretende Autofahrern verständlicherweise ein Dorn im Auge ist.
- Doch nicht nur die Toilettenhäuschen, auch viele WCs der Autobahnraststätten (die zumindest regelmäßig gereinigt werden) haben noch diese hinterwäldlerisch anmutenden "ABartigenORTe", vielleicht sind sie aber auch eine Reverenz an die durchreisenden Asiaten, Südeuropäer oder Araber, die aus Glaubensgründen diese Art der Notdurftverrichtung vorziehen?
Beim Betreten der langen Waschräume fällt mein (an)gespannter Blick jedes Mal automatisch unter die Klinken der aneinander gereihten Türen. Welche Kabine ist frei und vor allen Dingen, welche Art von Keramik erwartet mich dahinter? Es wäre nicht das erste Mal, dass ich die Räumlichkeiten aus Mangel an Hygiene unverrichteter Dinge verlasse, um bei der nächsten Raststätte noch einmal mein Glück zu versuchen.