Kontraste

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Frambuesa
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Kontraste

Beitrag von Frambuesa »

Nachdem ich nun einige Zeit mit der Wiederherstellung meiner inneren und äußeren Funktionen aufwenden musste, will ich mich hier doch mal wieder mit ein paar Beobachtungen melden :)
Wir haben ja schon häufiger von netten oder originellen Etablissements berichtet und ihr denkt vielleicht, dass wir uns nur in Bars herumtreiben. Nun ja, ganz so schlimm ist es natürlich nicht :-o und hauptsächlich ist es das Frühstück, das wir in einer Bar oder Cafeteria einnehmen und hin und wieder mal mittags eine eine Cerveza oder einen Vino Tinto samt Tapa zu uns nehmen.

Im Laufe der Zeit lernt man so manch originelle Lokalität kennen.
In diesem Winter hatten wir ja schon von der Bar des einzahnigen Wirtes, seiner zweizahnigen Frau und Coco, dem Nymphensittich erzählt, der ja nicht nur das Küchenschabenlied „La Cucaracha“, sondern auch die spanische Nationalhymne pfeifen kann :lol:
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Im Januar haben wir für eine Weile Andalusien verlassen und uns in der Comunidad Murcia ein wenig umgeschaut. Ich habe da zwar so den leisen Verdacht, dass meine liebste, bessere Hälfte ein bestimmtes Ereignis im Hinterstübchen hatte, flugzeugverrückt wie er nun mal ist.

Gleich am ersten Tag in Corvera machten wir eine ganz erstaunliche Entdeckung.
Nachdem wir Wochen vorher im Hinterland nicht selten eher unprofessionell betriebene Etablissements vorfanden, in denen oft das Personal in Jogginghosen und einer philosophisch-phlegmatischen Haltung seinem Job eher lustlos nachkommt und lieber auf I- oder Smart-Phone stiert oder herumhämmert, so ging es in Corvera ganz anders zu:

„La Perfección“ in Corvera
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Die beiden jungen Männer hinter der Theke mit den Auslagen vieler leckerer Tapas glichen sich wie ein Ei dem anderen. Auch die herumwuselnden Frauen wiesen Ähnlichkeiten miteinander auf und in der Küche wirbelte „El Padre“ der seine Nase allen Nachkommen vererbt hat, wie unschwer zu erkennen ist.
Es ist also scheinbar ein Familienbetrieb und Jefe bemerkt - wie immer - ganz spontan: „Der hat seine Nachkommen zielgerichtet produziert.“
„Und natürlich hat er auch großes Glück gehabt, dass alle seine „Ableger“ angegangen sind“ vervollständigte ich den Gedankengang meines Liebsten. ;-)

Aber das ist ja noch nicht alles, was an diesem Lokal so bemerkenswert ist, es ist der aufmerksame, perfekte Service, der uns schon gleich am Anfang auffällt. Am zweiten Tag erinnern sie sich an unsere Bestellung des vorigen Tages und das nicht nur bei uns, wie wir beobachten konnten. Die meisten Gäste sind Stammgäste (sie kommen wirklich jeden Tag) und brauchen gar nichts zu sagen. Besonders rege ist die jüngste Kellnerin, die gleichzeitig die Tische abräumt und auf einem Weg z.B. die Zeitungen richtet, die Stühle vor der Theke geraderückt und auf dem Rückweg schon die Papierdecke für den Nachbartisch mitnimmt. Aber sie sind wirklich alle äußerst flott, freundlich und aufmerksam und es gibt - selbst wenn es keine Gäste zu bedienen gilt - keinen Leerlauf. Mit irgendetwas sind sie immer beschäftigt, entweder säubern sie Öl- und Essigflaschen, falten Servietten, putzen die Glasscheiben von Theken, Kühlschränken und der Eingangstüre oder sie fegen die Papierchen vor der Theke zusammen. Kurz und gut: „El Padre“ hat sein Personal im Griff :d
Ach ja, der Laden öffnet schon um 6 Uhr früh und es gibt scheinbar zu der Zeit schon die ersten Gäste. Das erste Stoßgeschäft beginnt so gegen 8 Uhr, wenn Handwerker, die Herren der Müllabfuhr und der Straßenreinigung ihren Kaffee trinken. Um 9 Uhr dann genehmigt sich „El Padre“ sein Frühstück: Eine Portion Gulasch zum Vino Tinto ;)
Danach dürfen sich dann die Nachkommen im Stehen ein Tostada mit Kaffee oder Saft genehmigen. Gegen 9:30 leert sich mancher Tisch und auch an der Theke lichtet es sich ein wenig. Aber dann stürzen sie wieder ins Lokal, die Gruppen von Bauarbeitern und Malern, Behördenangestellten und älteren Herrschaften, die Jungs von der Policia Local und der Guardia Civil nicht zu vergessen.
Wir waren jederzeit sowohl mit der Qualität der Speisen als auch vom perfekten und freundlichen Service zufrieden.
Doch bei all der fleißigen und aufmerksamen Wuselei der ganzen Familie bleibt eines auf der Strecke: Die Gemütlichkeit. Deshalb bleibt das „La Perfección “ zwar das perfekteste, aber nicht das gemütlichste Etablissement, in das wir in all unseren Reisejahren je geraten sind.

Als Kontrast dazu fanden wir nur wenige Kilometer weiter in Richtung Cartagena in einem winzigen Ort das

„Comercial Ana“
Wer uns so langsam kennengelernt hat, weiß, dass nur in dringenden Fällen unsere Wegstrecken über Autobahnen führen. Und so kamen wir auf dem Weg von Corvera nach Cartagena auch durch den kleinen Ort Cuesta Blanca.
Viel gibt es hier nicht zu sehen und nur weil mein „Chauffeur“ meinte, seinem treuen Gefährt mal was Gutes gönnen zu müssen, peilte er die dortige Markentankstelle an.
Warum soll eigentlich nur das „Heilige Blechle“ was in den Magen bekommen? Ich habe auch Hunger. L-)
Und dann landeten wir im „Comercial Ana“ - wie der Name schon sagt, ein Laden mit angeschlossener Bar und weil ja drinnen nicht geraucht werden darf, sind sie auch hier so clever, die Lokalität auf einen überdachten und seitlich geschützten Außenbereich zu erweitern.
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Und in diesem Außenbereich empfing uns schon gleich ein etwas höherer Geräuschpegel von etwa 8-10 Caballeros, die vor Kaffeetassen und Bierflaschen ihre Zigaretten qualmten und sich unterhielten, als sei ihr Gesprächspartner hinter der Landesgrenze :lol:

Jefe grinst mich an und stößt die Tür zur Bar auf. Was sich dann unseren Augen bot, war einfach umwerfend:
Ein Laden für Alles, aber auch wirklich alles, was der Mensch zum Leben braucht, ein Tante-Emma-Laden par excellence. Von frischem Gemüse, Fleisch- und Wurstwaren über Molkereiprodukte, Hülsenfrüchte und Konserven aller Art, frisches Brot, Hygieneartikel, Kosmetika, Wasch- und Reinigungsmittel - wirklich alles, was sonst auf weitaus größeren zu finden ist.
Einige der Waren sind in Schränken, Schubladen und Vitrinen untergebracht, wie wir sie noch aus längst vergangenen Zeiten kennen. Bemerkenswert war auch noch, dass sämtliche Waren groß und deutlich ausgezeichnet sind. Ach ja, fast hätte ich es vergessen - wir befinden uns ja in einer Bar :idea:
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Der Platz zum Einnehmen von Kaffee, Bier und weiterem nahm rechts von der Ladentheke auch noch so etwa 2 Meter in Anspruch, wo auf kleinen Regalbrettern Markenschnäpse vor sich hinstaubten und die meistgängigen (ohne Etiketten natürlich) auf der Theke standen.
Wir waren wohl die einzigen Gäste, die ihren Kaffee ohne Spezialbeschleuniger tranken. Diese „Beschleuniger“ werden hier auf ganz spezielle Art serviert: In das halbvolle Kaffeeglas gießt die Wirtin einen guten Schuss des „Braunen“ und rundet das Ganze mit einem Stoß aus einer Gewürzdose ab. Roland glaubte zunächst, dass es sich um Pfeffer handeln könne, bei näherem Hinsehen entpuppte sich die „Droge“ jedoch als Zimt. Ob ich das wohl mal probieren soll?
Aber erst interessieren mich die vielen Spazierstöcke, die da von der Decke hängen. Davon muss ich unbedingt einen haben ;-)
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Da es innen keine Sitzmöglichkeit gibt, setzten wir uns mit unserem dick belegten Schinkenbrötchen in den Vorraum, wo die „Geier“ schon unter dem Dach auf Beute lauerten.
Es hat uns gefallen, dieses urige Etablissement mit den Erinnerungen an längst vergangenen Zeiten (auch für Spanien) und gut gestärkt ging es für uns weiter mit einem dieser herrlichen unbehandelten Stöcke für 3,50€, der demnächst in D die Hausordnung vertreten wird :lol:
Saludos Frambuesa
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nixwielos
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Re: Kontraste

Beitrag von nixwielos »

Vielen Dank Frambuesa für diese unterhaltsame kleine Geschichte, es macht großen Spaß, Dich zu lesen >:d<
Viele Grüße von Nicole und Stefan!
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Citronella
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Re: Kontraste

Beitrag von Citronella »

Dem Lob kann ich mich nur anschließen - mal wieder gut beobachtet und launig weitergegeben!

Mir scheint, du/ihr habt auch ein Gespür für besondere Etablissements ...

Saludos
Citronella
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ville
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Re: Kontraste

Beitrag von ville »

Ein sehr netter und kurzweiliger Report der etwas anderen Art, also eine Reiseerzählung ! Besten Dank, Frambuesa !

LG ville
„Die Welt ist ein Buch, und wer nicht reist, liest davon nicht eine einzige Seite.“
(wusste bereits Augustinus Aurelius, 354 – 430, Philosoph)
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Frambuesa
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Re: Kontraste

Beitrag von Frambuesa »

Citronella hat geschrieben: Di 29. Jan 2019, 15:43 Mir scheint, du/ihr habt auch ein Gespür für besondere Etablissements ...
:lol: Kann schon sein :lol:
Ist schon schön, wenn man im Alter die Steckenpferde pflegen kann,
zu denen man in jungen Jahren keine Muße (und Zeit) hatte :lol:
Saludos Frambuesa
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Josefine
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Re: Kontraste

Beitrag von Josefine »

Wieder ein sehr interessanter und humorvoller Bericht. ;-)
Ich lese gerne Deine spanischen Geschichten. :smile:
Gruß Josefine :)
Gaby
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Re: Kontraste

Beitrag von Gaby »

Toll geschriebener und humorvoller Bericht
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Oliva B.
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Re: Kontraste

Beitrag von Oliva B. »

Beim Lesen spielte sich in meinem Kopfkino so einiges ab: Ich sah die tintogerötete Nase des Padres, die er seinen zahlreichen emsig wuselnden Nachkommen vererbte, über dem morgentlichen Gulasch hängen, fühlte mich wohl vor dem Tresen der anderen Bar mit dem "Saftladen" dahinter...

Ein typischer Frambuesa-Beitrag, mit flotter Hand und spritzig geschrieben! Danke!
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hundetraudl
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Re: Kontraste

Beitrag von hundetraudl »

So ein Kaffee mit Amaretto und Zimt schmeckt super :-D
Humor ist der Knopf, der verhindert, dass uns der Kragen platzt. (Ringelnatz)
brigittekoslowski
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Re: Kontraste

Beitrag von brigittekoslowski »

Ich glaube eher,das war Weinbrand
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