In der vergangenen Woche war es endlich soweit: Der seit einem Monat geplante Termin bei der Präsidentin der Stiftung Emaús, Montserrat Fitur, stand an.
In der Zwischenzeit hatten wir etliche Emails gewechselt. Ich wollte mich nicht allein auf Zeitungsberichte verlassen, deshalb habe ich vor Überweisung
unserer Spende um Nachweise für die Gemeinnützigkeit und andere Unterlagen der Stiftung Emaús gebeten, wichtig für die steuerliche Anerkennung deutscher Spenden ins Ausland. Frau Fitur hatte mir bereitwillig die erbetenen Dokumente übersandt und ich bin davon überzeugt, dass unsere Spende dorthin gelangt, wo sie gebraucht wird.
Ich treffe auf eine sympathische, herzliche Dame und gemeinsam machen wir uns auf den Weg zu den drei Emaús-Einrichtungen, die wir besuchen wollen:
Das Kinderheim "Arcos de Altea" (für Kinder vom 7. bis zum 18. Lebensjahr),
das Frauenhaus "El Verdader", in dem auch Kinder bis zu 6 Jahren untergebracht sind, und
das große Seniorenstift, alle angesiedelt auf dem Gemeindegebiet von Altea.
Teil I - Kinderheim "Arcos de Altea"
- Montserrat Fiter, Präsidentin der Asociación Emaús
Das Kinderheim liegt inmitten einer Wohnsiedlung aus Einfamilienhäuser, umgeben von gepflegten Gärten. Kein Fremder kann ahnen, das sich hinter der schlichten Fassade eines dieser Häuser ein Kinderheims versteckt. Wir treffen kurz vor Mittag ein. Die 28 Kinder, die bis zur Volljährigkeit hier leben dürfen, sind bis auf wenige Ausnahmen noch in der Schule. Dadurch können wir uns ungestört die Räumlichkeiten anschauen, ohne uns wie Eindringlinge vorzukommen.
Wir betreten den Licht durchfluteten Speisesaal, in dem helle Möbel dominieren und werden von der jungen Heimleiterin begrüßt. Wir dürfen einen Blick in die angrenzende Küche werfen, wo in großen Töpfen das Mittagessen brodelt. Ein kleiner Junge kommt uns entgegen. Ein Neuzugang, den Montserrat Fiter noch nicht kennt. Sie hatte aber, als sie ihn von Weitem erblickte, die Heimleiterin nach seinem Namen gefragt und kann ihn deshalb direkt ansprechen. Der Kleine begrüßt Montse (wie sie liebevoll von allen genannt wird) höflich, wirkt aber noch etwas reserviert.
Dieser innige Kontakt zu jedem Menschen der uns begegnete, ist das eigentlich Beeindruckende an dieser Frau:
Montse kannte nicht nur die Namen des Personals (wobei es keine Rolle spielte, ob es sich um die Heimleiterin oder die Wäscherin handelte), sondern auch sämtliche Namen ihrer vielen Schützlinge. Es waren keine für uns inszenierten Szenen, denn vorgespielte Herzlichkeit findet keine Erwiderung in den Augen des Gegenübers. Wir haben in den nächsten Stunden erlebt, wie Montse Frauen und Kinder umarmte, ein paar Sätze mit jeden von ihnen gewechselt hat, ganz persönliche Fragen an den einzelnen stellte, haben gesehen, wie sie die Kinder streichelte, sie auf den Arm nahm, ihnen zuhörte und tröstete, wenn sie weinten. Nebenbei erzählte Montse, dass sie "erst" seit acht Jahren für Emaús arbeitet, diese Zeit aber die erfüllteste ihres Leben sei.
Im Speisesaal der Kinder reihen sich mehrere Holztische mit Bänken aneinander, daneben ein Erker mit Sofas. Diese Kuschelecken sehen wir immer wieder, kleine Wohlfühlinseln in den sonst eher funktionalen Räumen mit gespendeten Möbeln. Egal, welche Einrichtung wir betreten; in allen beeindruckt uns die Sauberkeit.
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In einem Regal hinter den Esstischen stehen jede Menge beschrifteter Zahnbürsten in Reih und Glied, Erinnerung für die Kinder, sich nach jedem Essen die Zähne zu putzen. Vom Comedor aus gelangen wir in den großen Patio. Am Wegesrand befindet sich eine Felsengrotte mit Heiligenbild, gegenüber der große, zweistöckige Anbau - alles macht einen äußerst gepflegten Eindruck. Hinter der Naya sind Außenküche, Barbacoa, Wäscherei, Hausaufgabenzimmer und Aufenthaltsräume der Kinder untergebracht.
An der Rückseite des Gebäudes befindet sich ein Fußballfeld, gespendet von einem norwegischen Club aus Alfaz del Pí und einem Verein aus Schottland. In einem Unterrichtsraum sitzen vertieft über ihrer Schularbeit neu angekommene Kinder an Einzelschreibtischen. Sie werden durch intensive Betreuung innerhalb von einer Woche auf den Besuch in einer öffentlichen Schule vorbereitet.
Montse zeigt uns aber auch Spuren der Zerstörung, die ihre Schützlinge bei Wutausbrüchen hinterlassen: Schäden an Türen und Wänden, eingerissene Gardinen... Es kommt immer wieder vor, dass diese Kinder "Dampf ablassen", sagt sie. Worauf sich meine Frage, ob Mitglieder unseres Forums ab und zu in diesen Heimen helfen können, eigentlich erübrigt. Ich hatte euch jedoch versprochen, mich danach zu erkundigen und fragte Montse. Ihre Antwort war ein entschiedenes Nein, denn alle Kinder haben multiple Probleme und können deshalb nur von Sozialarbeitern und ausgesuchtem Personal betreut werden, wozu auch ein eigener Psychologe gehört, der sein eigenes Büro in diesem Gebäudekomplex hat. Die Kinder stehen unter der Obhut der Heimleitung, die ihre Verantwortung nicht auf Außenstehende übertragen kann bzw. darf. Die Schützlinge stammen aus völlig verwahrlosten Verhältnissen. Es ist an der Tagesordnung, dass Väter ihre Frauen schlagen und Halbwüchsige ihre Mütter... Sie leben von Diebstahl, Bettelei und Prostitution, sind alkoholabhängig oder drogensüchtig.
Über eine Außentreppe des Neubaus gelangen wir in die ersten Etage, wo sich Zimmer an Zimmer reiht. Hier sind die Jungen in Doppelzimmern untergebracht. Alle Räume sind klein und zweckmäßig, jeweils mit zwei Betten, Schränken, Tischchen und Stühlen eingerichtet. Neben diesen Doppelzimmern gibt es auch Mehrbettzimmer, in denen Geschwisterkinder untergebracht sind, sie werden nicht auseinander gerissen. Montse erzählt uns von einem deutschen Paar, das auf der Straße lebt und deren fünf Kinder in der Einrichtung untergebracht sind bzw. waren... Doch dazu später noch einmal.
Auffällig sind die vielen Kuscheltiere, die auf den ordentlich gemachten Betten drapiert waren - übrigens die einzigen sichtbaren Spielsachen in den Kinderzimmern, die wir entdecken. Alle wurden gespendet. Spiele gibt in den Gemeinschaftsräumen, dort steht auch ein Fernsehapparat. Am Ende des langen Flurs vor der langen Zimmerreihe liegen die Waschräume. Auch hier ist alles sauber und ordentlich, jedes Kind hat sein eigenes Waschzeug. Eine Verbindungstür, normalerweise verschlossen, führt uns in den Mädchentrakt im Altbau. Es ist das umfunktionierte Elternhaus von Francisco Nadal, dem Gründer der Stiftung. Die Mädchenzimmer sehen weniger nüchtern aus, es gibt sogar zwei Einzelzimmer. Ein ungefähr 16 Jahre altes Mädchen begegnet uns im Flur, umarmt Montse stürmisch und zeigt ihr die Innenflächen ihrer Hände, in denen einige offene Blasen erkennbar sind, die sie in einer Lauge reinigen und anschießend verbinden will. Selbstverständlich kennt Montse auch ihren Namen, fragt wie sie zu den Verletzungen gekommen ist, wie es in der Schule läuft und nach den Kursen, die das Mädchen im Abendunterricht besucht.
Am Ende unseres Rundgangs im Speisesaal angekommen, treffen wir noch einmal auf den kleinen Jungen, der uns schon am Anfang begegnete. Montse ruft seinen Namen und diesmal erzählt er ihr strahlend, wie gut es ihm in der neuen Umgebung gefällt und wie viel Spaß es macht, zu lernen. Am Ausgang empfangen uns Kinder, die gerade lärmend und hungrig nach Hause kommen und beginnen, unaufgefordert den Tisch zu decken. Jede Woche gibt es ausgedruckte "Dienstpläne"; die Kinder werden reihum zur Mitarbeit angehalten, sie helfen das Essen aufzutragen und das Geschirr abzuräumen.
Vor der Tür zum Speisesaal steht ein junges Mädchen mit einem Kinderwagen, um sie herum eine Traube Kinder. Alle wollen einen Blick auf das erst wenige Tage alte Baby werfen, das friedlich im Wagen schlummert. Die junge Mutter ist das älteste der fünf Kinder des bereits erwähnten deutschen Paares. An ihrem 18. Geburtstag teilte das Mädchen ihren Betreuern mit, dass sie schwanger sei. Nun ist ihr Kind seit ein paar Tagen auf der Welt und sie lebt irgendwo mit dem genauso jungen, natürlich arbeitslosen Vater zusammen. Sie kommt nur vorbei, um den ehemaligen Mitbewohnern voller Stolz ihr Baby vorzustellen. Ihr jüngster Bruder und "frisch gebackener" Onkel kann seine erst wenige Tage alte Nichte nur betrachten, wenn er sich auf Zehenspitzen stellt...
Montse meinte, trotz aller Bemühungen hätten nur wenige Kinder die Chance, später ein halbwegs "normales" Leben zu führen. Emaús könne den Kindern nur eine geordnete, behütete Kindheit bieten, doch es sei schwierig, den Teufelskreis zu unterbrechen: Die in dem Heim untergebrachten Kinder haben hin und wieder Kontakt zu ihren Familien und landen meistens später in demselben Umfeld, aus dem man sie geholt hatte. Von hundert Kindern schafft es im Durchschnitt eines, ein anderes Leben als seine Eltern zu führen.
Beim Abschied klammert sich ein größerer Junge an Montse und will sie nicht gehen lassen. Sie streichelt ihn und versucht, beschwichtigend auf ihn einzureden. Irgendwann gibt der Junge auf und geht trotzig, bei jedem Tritt laut auf den Boden stampfend, zurück in den Speisesaal, wo das leckere Mittagessen schon auf dem gedeckten Tisch steht.
Unsere Fahrt geht es weiter zum Frauenhaus, von dem ich demnächst berichten werden.
PS: Aus rechtlichen Gründen habe ich keine Fotos von den Kindern gemacht.