amogles hat geschrieben:[...]Wenn alle sich total einig sind, und es sich herausstellt dass einer unrecht hat, dann haben alle unrecht. Früher als es noch tatsächlicher Vielfalt gab und die Regierungspartei unrecht hatte, dann war das natürlich gut für die Oppositionspartei die recht hatte. Aber wenn Opposition und Regierung sich einig sind und die Regierung unrecht hat, dann hat auch die Opposition genauso unrecht. Logisch oder?[...]
@ amogles
Dann spinne ich deinen Faden einfach mal weiter... Wenn die etablierten Parteien Deutschlands sich in Grundsatzfragen einig sind, so kann man das Verhalten auch auf die Parteien der anderen EU-Staaten übertragen. Dann ist sich auch die öffentlich-rechtliche Presse einig und schreibt unisono, was die Regierungen gerne lesen wollen, gegenteilige Meinungen unerwünscht!
Ich fasse mal kurz zusammen, was man da in letzter Zeit so alles vernehmen konnte:
Die Griechen sind faul, leben von unserem Geld, arbeiten weniger als die Deutschen, gehen dafür eher in Rente und lassen sich die griechische Sonne auf den Bauch scheinen.
Die griechische Regierung wiederum ist bekannt für Korruption und Vetternwirtschaft, der Beamtenapparat ist nur deshalb so aufgebläht, weil jeder Staatsdiener versucht, seine Sippe auf lukrative Pöstchen zu vermitteln (jeder 4. Grieche ist verbeamtet). Es wird "auf Teufel komm raus" an der Steuer vorbei gearbeitet, Schmiergelder vereinnahmt (womit dann Unmögliches möglich gemacht wird

), die Oligarchen haben sich selbst per Grundgesetz von der Steuer befreit, und dann - jetzt kommt es -besitzen diese Griechen auch noch die Frechheit, unsere liebevoll geschnürten Hilfspakete zu verbraten, und keiner weiß, wofür!
Entspricht dieses Griechenland-Bild den Tatsachen oder soll mit dieser Volkshetze etwas anderes bezweckt werden, zum Beispiel von Fehlern abgelenkt werden, die ganz woanders begangen wurden?
Wie war das 2002? Warum hat man beschlossen, Griechenland in die Währungsunion aufzunehmen, obwohl die Voraussetzungen für den Euro nicht vorlagen? Welche Vorteile versprach man sich davon? Welche Interessen standen dahinter? Niemand weiß es so ganz genau, aber eins ist klar: es ging um Geld, und zwar um sehr viel Geld. Riesenkredite, die Banken verliehen haben und für die sie Zinsen erhielten, Geschäfte...
Natürlich wollten die Griechen den Euro, den sie auf dem Silbertablett serviert bekamen. Dadurch wurde ihnen das Schuldenmachen bei denkbar günstigem Zinssatz leicht gemacht! So wurde lustig konsumiert, mehr importiert als produziert, immer mehr Beamten bezahlt - und irgendwann reichten die Staatseinnahmen nicht mehr aus, um das alles zu bezahlen. Griechenland brauchte Kredite und bekam 2010 und 2012 Hilfspakete in Höhe von insgesamt 215,7 Milliarden Euro.
Das Geld kam von der Trojka, die jetzt "Institutionen" heißt, und wurde den korrupten Regierungen ausgezahlt, die in der Vergangenheit das Sagen hatten und das Land an den Rand der Zahlungsunfähigkeit gewirtschaftet haben.
Trotz dieser horrenden Milliardensummen musste das Volk den Gürtel immer enger schnallen. Die Armen wurden immer ärmer, denn von den Hilfspaketen kam dort unten kaum etwas an. Verbraten wurde das Geld, um den Beamtenapparat am Laufen zu halten, Banken zu retten (Notfallkredite) und vor allen Dingen, um pünktlich die Zinsen an die Kreditgeber zurückzuzahlen.
Will man den Griechen verdenken, dass sie von den alten Seilschaften langsam die Nase voll hatten und die etablierten Parteien abgesetzt haben? Seit ein paar Monaten hoffen sie, dass die linke Syriza den vor Jahrzehnten festgefahrenen Karren aus dem Dreck zieht, und vertrauen auf Alexis Tsipras, den charismatischen Ministerpräsidenten. Dessen jugendliches Aussehen täuscht, denn er ist ein erfahrener Polit-Hase. Er pokert hoch für sein Volk, kneift kurz vor Vertragsabschluss und zieht den Zorn der Mächtigen mit Beleidigungen auf sich. Tsipras beißt um sich, wie ein kleiner Straßenköter gegen eine Hundemeute. Kann man ihm, in seiner brenzligen Lage, wirklich verübeln, dass er alle Register zieht, um weltweit Aufmerksamkeit zu erregen? Er will keine weiteren Zugeständnisse machen, die er wieder nicht einhalten kann.
Mit dem Referendum haben sich die Griechen Gehör verschafft, ein stolzes Volk begehrt auf. Es hat nichts mehr zu verlieren und kämpft ums Überleben.
Doch was ist mit uns? Mich beschleicht das mulmige Gefühl, dass "wir" mit "unserem" Geld vielleicht gar nicht Griechenland gerettet haben, sondern vielmehr das Geld der internationalen Anleger....
Auch Deutschland hat nicht schlecht verdient: die Bundesregierung hat für die vom Bund verbürgten Hilfskredite der deutschen Staatsbank KfW von 2010 bis 2014 360 Millionen Euro Zinsen kassiert - ein Bombengeschäft!
Müssten wir nicht dem griechischen Volk, das mit seinen Gastarbeitern geholfen hat unsere blühende Wirtschaft aufzubauen (von der historischen Schuld aus dem zweiten Weltkrieg will ich gar nicht erst anfangen), müssen wir diesem Volk nicht unter die Arme greifen? Denn eins ist doch klar: Griechenland braucht unsere Hilfe. Aber ob Hilfspakete (also neue Kredite) dem Volk helfen, wage ich zu bezweifeln.
Zweifel hege ich auch, ob sich Tsipras mit seinem neuesten Reformvorschlag und der Forderung nach einem dritten Hilfspaket einen Gefallen getan hat. Er kommt den Vertragspartnern entgegen und bricht damit Versprechen, die er seinen Wählern gegeben hat.
Und so langsam kommt eine weitere Frage auf: Wem kann man überhaupt noch glauben?
