Eine zeitgenössische Weihnachtsgeschichte

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raisa
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Eine zeitgenössische Weihnachtsgeschichte

Beitrag von raisa »

MÄRCHEN VOM AUSZUG ALLER AUSLÄNDER

Ihr vermisst dieses Märchen?

Der Autor ist Herr Helmut Wöllenstein.
Wir haben ihn um die Erlaubnis gebeten, diese Geschichte veröffentlichen zu dürfen.
Bis zur endgültigen Klärung des Copyrights haben wir den Beitrag entfernt.


Es war einmal …, so beginnt das Märchen „Von denen, die auszogen, weil sie das Fürchten gelernt hatten.“

Es war einmal … etwa drei Tage vor Weihnachten, spät abends. Über den Marktplatz der kleinen Stadt kamen ein paar Männer gezogen. Sie blieben an der Kirche stehen und sprühten auf die Mauer »Ausländer raus« und »Deutschland den Deutschen«. Steine flogen in das Fenster des türkischen Ladens gegenüber der Kirche. Dann zog die Horde ab. Gespenstische Ruhe. Die Gardinen an den Bürgerhäusern waren schnell wieder zugefallen. Niemand hatte etwas gesehen.
»Los, kommt, es reicht, wir gehen.«
»Wo denkst Du hin! Was sollen wir denn da unten im Süden?«
»… da unten? Das ist immerhin unsere Heimat. Hier wird es immer schlimmer. Wir tun einfach das, was an der Wand geschrieben steht: ›Ausländer raus!‹ «
Tatsächlich, mitten in der Nacht kam Bewegung in die kleine Stadt. Die Türen der Geschäfte sprangen auf: Zuerst kamen die Kakaopäckchen heraus mit den Schokoladen und Pralinen in ihren Weihnachtsverkleidungen. Sie wollten nach Ghana und Westafrika, denn da waren sie zu Hause. Dann der Kaffee, palettenweise, der Deutschen Lieblingsgetränk; Uganda, Kenia und Lateinamerika waren seine Heimat. Ananas und Bananen räumten ihre Kisten, auch die Trauben und die Erdbeeren aus Südafrika. Fast alle Weihnachtsleckereien brachen auf, Pfeffernüsse, Spekulatius und Zimtsterne, denn die Gewürze in ihrem Inneren zog es nach Indien. Der Dresdner Christstollen zögerte. Man sah Tränen in seinen Rosinenaugen, als er zugab: Mischlingen wie mir geht’s besonders an den Kragen. Mit ihm kamen das Lübecker Marzipan und der Nürnberger Lebkuchen. Nicht Qualität, nur Herkunft zählte jetzt. Es war schon in der Morgendämmerung, als die Schnittblumen nach Kolumbien aufbrachen und die echten Pelzmäntel mit Gold und Edelsteinen an ihrer Seite in teuren Chartermaschinen in alle Welt starteten.
Der Verkehr brach an diesem Tag zusammen. Lange Schlangen japanischer Autos, vollgestopft mit Optik und Unterhaltungselektronik, krochen gen Osten. Am Himmel sah man Weihnachtsgänse nach Polen fliegen, auf ihrer Bahn gefolgt von den feinen Seidenhemden und den Teppichen aus dem fernen Asien.
Mit Krachen lösten sich die tropischen Hölzer aus den Fensterrahmen und schwirrten zurück ins Amazonasbecken. Man musste sich vorsehen, um draußen nicht auszurutschen, denn von überall quollen Öl und Benzin hervor, flossen zu Bächen zusammen und strömten in Richtung Naher Osten. Doch man hatte bereits Vorsorge getroffen. Stolz holten die großen deutschen Autofirmen ihre Krisenpläne aus den Schubladen: Der alte Holzvergaser war ganz neu aufgelegt worden. Wozu ausländisches Öl?!
Aber es half nichts, die VWs und die BMWs begannen sich aufzulösen in ihre Einzelteile, das Aluminium wanderte nach Jamaika, das Kupfer nach Somalia, ein Drittel der Eisenteile nach Brasilien, der Naturkautschuk nach Zaire. Und die Straßendecke hatte mit dem ausländischen Asphalt im Verbund auch immer ein besseres Bild abgegeben als heute.
Nach drei Tagen war der Spuk vorbei, der Auszug geschafft, gerade rechtzeitig zum Weihnachtsfest. Nichts Ausländisches war mehr im Land. Aber Tannenbäume gab es noch, auch Äpfel und Nüsse. Und »Stille Nacht« durfte gesungen werden – wenn auch mit Extragenehmigung, das Lied kam immerhin aus Österreich.
Nur eines wollte nicht so recht ins Bild passen. Maria, Josef und das Kind waren geblieben. Drei Juden. Ausgerechnet.
»Wir bleiben«, sagte Maria, »wenn wir aus diesem Land weggehen – wer will ihnen dann noch den Weg zurück zeigen, den Weg zurück zur Zukunft und zur Menschlichkeit? «
Zuletzt geändert von CBF-Team am Do 16. Dez 2010, 18:14, insgesamt 2-mal geändert.
Grund: Am 14.12.2010: Beitrag aus urheberrechtlichen Gründen entfernt. 16.12.2010: Beitrag nach Freigabe des Autors wieder eingestellt.
Jara
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Re: Eine zeitgenössische Weihnachtsgeschichte

Beitrag von Jara »

eine schöne Geschichte zum Nachdenken. Danke
LG
Solveig
Marybell
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Re: Eine zeitgenössische Weihnachtsgeschichte

Beitrag von Marybell »

Das ist eine doch sehr nette Geschichte und zeigt :
"Wir alle sind Ausländer - fast überall"

(von wem dieser kluge Spruch ist,weiss ich wirklich nicht und kann deswegen auch kein copy angeben ;)
ciao Marybell
Gast3
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Re: Eine zeitgenössische Weihnachtsgeschichte

Beitrag von Gast3 »

Ich betrachte mich selbst schon lange als Europäer.
Ich muss nicht alles mögen, was regional so Sitte sein mag, ich kann es aber ohne Probleme tolerieren, wenn mein Nachbar bei seinen Mahlzeiten einen anderen Geschmack bevorzugt als ich oder völlig anders betet als ich.
Das ist seine Privatsache und geht mich nichts an.
Ich habe aber gelernt, dass wir alle im Prinzip das selbe wollen: ein friedliches Miteinander zumindest in bescheidenem Wohlstand, auf dass wir eine warme Wohnung und genug zu Essen haben. Dazu noch ein Auto zur Mobilität und vor allem ein paar Kinderchen, und damit kann man eine Familienidylle aufbauen.
Wer mehr will, sprich einen Ferrari oder eine Yacht am Mittelmeer, der muss halt mehr malochen als der Durchschnitt. Dem kann ich das nicht neiden.
Wer aber laut schreit "Ausländer raus" weil er meint, dass die ihm den Arbeitsplatz wegnehmen oder gar fürchtet, dass ihm eine andere Weltanschauung oder Religion aufgezwungen werden könnte, dem mangelt es vermutlich einfach nur an seiner persönlichen Qualifikation und vor allem an Selbstbewusstsein.
Soviel zum nachdenken.


Saludos Clark
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Re: Eine zeitgenössische Weihnachtsgeschichte

Beitrag von Oliva B. »

Clark hat geschrieben:Ich betrachte mich selbst schon lange als Europäer.
Ich muss nicht alles mögen, was regional so Sitte sein mag, ich kann es aber ohne Probleme tolerieren, wenn mein Nachbar bei seinen Mahlzeiten einen anderen Geschmack bevorzugt als ich oder völlig anders betet als ich.
Das ist seine Privatsache und geht mich nichts an.
Ich habe aber gelernt, dass wir alle im Prinzip das selbe wollen: ein friedliches Miteinander zumindest in bescheidenem Wohlstand, auf dass wir eine warme Wohnung und genug zu Essen haben. Dazu noch ein Auto zur Mobilität und vor allem ein paar Kinderchen, und damit kann man eine Familienidylle aufbauen.
Wer mehr will, sprich einen Ferrari oder eine Yacht am Mittelmeer, der muss halt mehr malochen als der Durchschnitt. Dem kann ich das nicht neiden.
Wer aber laut schreit "Ausländer raus" weil er meint, dass die ihm den Arbeitsplatz wegnehmen oder gar fürchtet, dass ihm eine andere Weltanschauung oder Religion aufgezwungen werden könnte, dem mangelt es vermutlich einfach nur an seiner persönlichen Qualifikation und vor allem an Selbstbewusstsein.
Soviel zum nachdenken.


Saludos Clark

Hallo Clark,

was du da bringst, ist eine ganz gesunde Lebenseinstellung.
Doch ein friedliches Miteinander ist nicht überall erwünscht.
Auch in Spanien hört man inzwischen den empörten Aufschrei: "Ausländer raus!" :roll:
Fotografiert in Andalusien 2010
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Re: Eine zeitgenössische Weihnachtsgeschichte

Beitrag von Gast3 »

Oliva B. hat geschrieben: Hallo Clark,

was du da bringst, ist eine ganz gesunde Lebenseinstellung.
Doch ein friedliches Miteinander ist nicht überall erwünscht.
Auch in Spanien hört man inzwischen den empörten Aufschrei: "Ausländer raus!" :roll:
Ausländer.JPG
Hola Oliva,

Natürlich gibt es auch in Spanien Ausländerfeinde, Rassisten oder nennen wir es beim Namen: Nazis.
Ich habe es aber bei weitem nicht so intensiv oder offen wahrgenommen, wie es mir derzeit in Deutschland begegnet.

Saludos Clark
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Re: Eine zeitgenössische Weihnachtsgeschichte

Beitrag von maxheadroom »

Hola todas,
da habe ich doch was passendes gelesen zu dieser Thematik :lol:
"........Die Weihnachtslegenden rufen es in Erinnerung: Die erste diplomatische Anerkennung erfuhr der in Bethlehem Geborene von drei Koenigen aus dem Morgenlande. Also wir verfuegen ueber eine Leitkultur mit Migrationshintergrund."
Noch weitere Gedankengaenge in der Sueddeutschen Zeitung unter "Zuwanderung ist ueberall" vom 27.12.2011.
Saludos
maxheadroom
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Soy optimista, incluso mi tipo de sangre es positiva.
La buena vida es cara. Hay otra más barata - pero esa no es vida.
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Re: Eine zeitgenössische Weihnachtsgeschichte

Beitrag von Gast3 »

maxheadroom hat geschrieben:Hola todas,
da habe ich doch was passendes gelesen zu dieser Thematik :lol:
"........Die Weihnachtslegenden rufen es in Erinnerung: Die erste diplomatische Anerkennung erfuhr der in Bethlehem Geborene von drei Koenigen aus dem Morgenlande. Also wir verfuegen ueber eine Leitkultur mit Migrationshintergrund."
Noch weitere Gedankengaenge in der Sueddeutschen Zeitung unter "Zuwanderung ist ueberall" vom 27.12.2011.
Saludos
maxheadroom
Hola, danke für den Hinweis. An den Aspekt hatte ich bislang noch gar nicht gedacht, da meiner Ansicht nach alle Kulturen auf den gemeinsamen Grundwerten beruhen: In Frieden in bescheidenem Wohlstand leben, an einen (beliebigen) Gott glauben zu dürfen, genug zu essen zu haben und Kinderchen machen zu dürfen.
Mit dem Begriff "Leitkultur" kann ich persönlich nichts verbinden.
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Re: Eine zeitgenössische Weihnachtsgeschichte

Beitrag von maxheadroom »

Hola todos,
@Clark Leitkultur ist so ein "Neusprech"(ein Begriff aus schoene Neue Welt Adolf Huxley) am besten mal da lesen :-D :lol: :-D
http://de.wikipedia.org/wiki/Leitkultur
Saludos
maxheadroom
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Re: Eine zeitgenössische Weihnachtsgeschichte

Beitrag von Gast3 »

maxheadroom hat geschrieben:Hola todos,
@Clark Leitkultur ist so ein "Neusprech"(ein Begriff aus schoene Neue Welt Adolf Huxley) am besten mal da lesen :-D :lol: :-D
http://de.wikipedia.org/wiki/Leitkultur
Saludos
maxheadroom
Hola maxheadroom,

ich kenne Huxleys New World ebenso wie Orson Wells Big Brother.
Noch weigere ich mich anzuerkennen, dass die Relität in manchen Bereichen schon viel weiter ist. :sad:

Saludos Clark
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