Rockcrunsher hat geschrieben: ↑Mo 22. Jul 2024, 07:47
Das Problem tritt immer auf, wenn Firmen ein "Geschäftsmodell" wittern.
Partieller Einspruch Euer Ehren!
Gerade in Spanien ist mir aufgefallen, dass auch der "kleine Mann" sehr schnell für lukrative Geschäftsmodelle zu begeistern ist, egal ob diese unmoralisch sind. Es stünde ja jedem frei, sein Piso langfristig für 1000 Euro im Monat an eine einheimische Familie zu vermieten. Jedoch wird von vielen direkt das klassische Modell bevorzugt, und das ist "Langzeitmiete" von September bis Mai und dann touristische Vermietung für vierstellige Beträge pro Woche im Sommer. Oder eben ganz modern: die Bude rund ums Jahr auf den bekannten Internetplattformen kurzfristig touristisch vermieten und dann statt 1000 Euro eben 3000 Euro pro Monat damit zu verdienen. Da steckt keine Firma dahinter, sondern die Gier vieler Privatpersonen, die das so machen, "weil es die anderen auch so machen, und man ja schön dumm wäre, wenn man es als einziger nicht so machen würde".
Das Problem tritt also auf, weil der Markt nicht vernünftig reguliert wird (zB totales Kurzzeitmietverbot in Innenstädten und saftige Steuern auf Kurzzeitvermietungen in Kombination mit Steuererleichterungen bei Langzeitvermietung zu einem marktüblichen Preis). Das Problem gab es also schon vor den "Firmen" und wird es auch weiterhin geben, weil die harte politische Hand fehlt.
Rockcrunsher hat geschrieben: ↑Mo 22. Jul 2024, 07:47
Wenn die Spanier genauso doof sind, wie wir Deutsche (was ich nicht hoffe) und das Problem nur auf "Ausländer" runterbrechen, dann freue ich mich schon als "Auswanderer" auf die nächsten Jahre an der Costa Blanca.
Zum Teil passiert das. Ich vergleiche da gerne meine Jahre in Murcia Stadt (wobei ich die Murcianicos sowieso meist herzlicher erlebt habe als die Valencianos). Dort hat man sich beinahe gefreut, wenn endlich mal ein Ausländer in den Laden oder ins Restaurant kam, und als ausländischer Arbeitskollege wurde man herzlich und interessiert willkommen geheißen. In den touristischen Regionen Alicantes hingegen wird man gerne mal wie der letzte Dreck gegenüber den Einheimischen behandelt. Wenn man zB in einem Traditionsrestaurant zu Abend speisen möchte und schon beim Hinsetzen auf Spanisch angeblafft wird "Abends gibt es keine Paella", so als ob man ausgegangen wäre, um eine völlig überteuerte Schüssel Reis zu essen, und dann 15 Minuten wartet, bis wenigstens mal eine Karte kommt und nach weiteren 15 Minuten nach den Getränkewünschen gefragt wird, obwohl der Laden beinahe leer war, trotz dem es eine normale Zeit für ein spanisches Abendessen war (20 Uhr +).
Wenn der arrogante Wirt weder die Ausländer und Touristen als Gäste hätte, noch seine Schwippschwager, Nachbarn und Großcousins alle direkt oder indirekt vom Tourismus leben und ihr Geld regelmäßig in seine Kaschemme tragen würden, dann hätte er schon vor Jahrzehnten die Scheiben kalken und "se traspasa" draufschreiben können.
In Murcia hingegen sagte der Wirt bei der Frage nach der Karte: "Wir haben alles". Und dann hat man seine Wünsche vorgetragen und in der Küche wurde das weitestgehend berücksichtigt. Aber auch in Altea hatten wir eine schöne Erfahrung in einer dieser coolen alten Bars mit schäbigem Hinterhof, wo man zwischen leeren Kisten und kaputten Waschmaschinen unter Weinlaub gesessen hat, und die natürlich im Gegensatz zu dem ganzen Touri-Mist inzwischen dauerhaft geschlossen ist. Wir wollten dort mittags nach ein paar Cañas was essen, und nach der Karte gefragt meinte die Wirtin: "Wir haben keine Speisekarte, weil wir nichts zu essen anbieten, aber wir müssen ja selber auch was essen, also schaun wir mal und machen euch was mit." Das ist jetzt leider nur die Ausnahme, die die Regel bestätigt.
Die Regel ist nämlich: diejenigen, die auf indirektem Weg am besten vom Tourismus leben, dies aber entweder gar nicht kapieren oder nicht wertschätzen, sind oft diejenigen, die am lautesten schreien. Wenn man zur Bedingung für den Protest machen würde, dass jeder Teilnehmer und Schreihals nur 25% seines durch den Tourismus erwirtschafteten Privatvermögens abgeben müsste, dann wären die Demos in kürzester Zeit Geschichte.
Auch die soziale Infrastruktur, die für die einheimische Bevölkerung durch die Steuereinnahmen aus dem Tourismus geschaffen wurde wird gerne vergessen. Mit den Abgaben einer Cuadrilla Nispero-Pflücker hätte man das alles nicht finanzieren können. Dass man zum Beispiel nicht mehr 20 Kilometer auf dem Rücken eines altersschwachen Esels über Trampelpfade um nächsten Ambulatorio reiten muss, wenn man krank ist, oder dass es relativ gut ausgestattete öffentliche Schulen gibt. Das wird alles gerne ausgeblendet, und man fokussiert sich auf die negativen Aspekte, schaukelt sich kollektiv hoch, und adressiert seine Forderungen falsch: Der Tourist kommt als Kunde, gibt sein sauer verdientes Geld hier aus, und steht im Fadenkreuz derjenigen, die gut davon leben.
Richtig wären hingegen, konkrete Forderungen nach Steuerung und Verbesserung an die Politik zu richten. Und auch darauf gefasst zu sein, dass durch weniger Tourismus zwangsläufig auch weniger Geld im Umlauf sein wird. Denn der Traumtourist, der alles sauberer hinterlässt als er es vorfindet und bereit ist, dafür auch noch den dreifachen Tarif plus 50 Euro täglich Kurtaxe zu zahlen, muss erst noch gebacken werden.