Seite 4 von 6

Re: Vor die Tür gesetzt ...

Verfasst: Di 13. Nov 2012, 23:46
von Oliva B.
rainer hat geschrieben:Gibt es eigentlich auch in Spanien eine Art Privatinsolvenz? Das wäre ja für die "Bank- Opfer" eigentlich die einzige Chance, irgendwann mal wieder Land zu sehen. Das gekaufte Objekt weg, den Kaufpreis aber lebenslang noch am Hals, wer soll das aushalten, bis ans Lebensende den Gerichtsvollzieher im Nacken zu haben.
Ja, es gibt auch in Spanien eine Privatinsolvenz, doch war sie in der Vergangenheit nie so populär wie in Deutschland und wurde auch nur selten in Anspruch genommen. Eine deutschsprachige deutschsprachige Information habe ich hier und da (Restschuldbefreiung) gefunden.

Gerade die Selbstmordfälle in letzter Zeit unter den zwangsenteigneten Immobilienbesitzern sind Anlass über neue Gesetzte oder Reformen nachzudenken.

Re: Vor die Tür gesetzt ...

Verfasst: Mi 14. Nov 2012, 09:34
von TorreHoradada
:-?
Alf schreibt mir ein wenig aus der Seele. Denn wenn ich mir die Posts so durchlese erklimmt mich ein Gefühl, dass von manchem gemeint ist die Spanier wären alles Analphabeten und könnten nicht rechnen, geschweige denn denken.

Anscheinend wird vergessen, dass Spanien vor EURO-Einführung wesentlich höhere Hypothenzinsen hatte als nach der EURO-Einführung. Gleiches gilt übrigens auch für Deutschland. Bei dem zugrundegelegten Zeitraum 2004 - 2008 lag der Hypothenzinzsatz bei ca. 4% bis 5%. Die spanischen Banken haben generell zunächst keine Zinsfestschreibung sondern agieren mit dem variablen Zins. Die angebotenen Hypotheken hatten generell ( sogar heute noch ) eine Laufzeit von 35 Jahren. Sprich es wurde mit 1%iger Tilgung gerechnet. Nehmen wir ein einfaches Beispiel in Höhe von durchschnittlich 200.000,-- € Hypothekendarlehen so ergibt das eine monatliche Belastung in Höhe von 833,34 € monatlich. Dabei ist sogar berücksichtigt, dass 20% Eigenkapital vorhanden war. Die Gesamtkosten bei ca. 250.000,-- € lagen.

Diese monatliche Belastung ist für deutsche Verhältnisse lächerlich, da hatten wir Ende des letzten Jahrtausends schon umgerechnet eine um 50% höhere monatliche Hypothekenlast. Aber man kann mit "deutschem Denken" auch nicht die spanische Mentalität nachvollziehen. In D wird das Einkommen des Antragsstellers geprüft. In Spanien wird das Familieneinkommen zugrunde gelegt. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Während in D eventuell 1 bis 2 Verdiener geprüft werden sind es in Spanien 4 bis zu 6 Personen. Zumindest als Bürgen. Nehmen wir einen Durchschnittsverdienst in Höhe von 800,-- € netto, so haben sich die Banken gesagt, ist die Hypothek auch beim Ausfall eines Verdieners "sicher". Erschwerden hinzu kamen die gleichen Fehler, die man in D in den 1970er Jahren gemacht hatte, nämlich die Inflationsrate der nächsten (minimum) 5 Jahre künstlich hineingerechnet wurden.

Bleiben wir bei den Zahlen weil ein Rechenbeispiel gepostet wurde. Bei 200.000,-- € Hypothek und Beginn als Beispiel 2004, wurde bis 2008 an Schulden gerade einmal 8.000,-- € ( 1% jährliche Tilgung ) zuzüglich ersparter Zinsen ( ca. 500,-- € ), mithin also 8.500,-- € Tilgung. Bei dem geposteten Beispiel fehlt dann allerdings noch die nichtgezahlte Zeitspanne und damit de facto die Erhöhung der Restschuld. Habe unten mal ein Besispiel gerechnet wie es in etwa für die Leute aussieht.

1. Jahr 2004 Schulden 200.000,-- Tilgung 2.000,-- €
2. Jahr 2005 Schulden 198.000,-- Tilgung 2.080,-- €
3. Jahr 2006 Schulden 195.920,-- Tilgung 2.163,20 €
4. Jahr 2007 Schulden 193.756,80 Tilgung 2.249,73 €
5. Jahr 2008 Schulden 191.507,07 Tilgung 2.339,72 €

6. Jahr 2009 Schulden 189.167,35 € Tilgung = 0 € - Zahlung = 0 - Zinsen = 7.566,70 €

7. Jahr 2010 Schulden 196.734,05 - 0 Zahlung - Zinsen = 7.869,36 €
8. Jahr 2011 Schulden 204.603,41 €. - Spätestens jetzt ist die Kündigung des Darlehens und Rückgabe der Immobilie erfolgt.

9. Jahr 2012 Schulden mittlerweile 212.787,55 €, Verkauf der Immobilie für angenommen 110.000,-- € verbleiben als persönliche Schuld 102.787,55 € . Gezahlt wurden während der 5 Jahre knappe 50.000,-- € an Hypothek und das angenommene Eigentkapital in Höhe von ca. 50.000,-- € ist ebenso verloren. Also 100.000,-- € verlorenes Geld zuzüglich gleiche Summe an persönlicher Schuld ohne Gegenwert. Die Bank hat nun noch Forderungen in Höhe von ca. 100.000,-- € an die Person. Und das ist das Ausfallrisiko der Bank.

Um diesen Ausfall kompensieren zu können muss die Bank funktionierende Kredite in Höhe von 10.000.000,-- € umsetzen.

In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch gerne auf die Vergabepraxis eingehen. Denn zu Boomzeiten hatte ja jeder Einwanderer mit mindestens 800,-- € Nettolohn eine Baufinanzierung durchbekommen. Sicher ist das das falsche Geschäftsgebaren gewesen. Da ein Vergleich mit deutschen Banken gepostet wurde .... die deutschen Banken schützen nicht den Kunden / Verbraucher vor sich selber sondern haben hohe Absicherungen gegen diese Ausfallrisiken. Bis zur "Übersicherung" von Hypothekendarlehen. D.h. oft muss der Kunde Sicherheiten in welcher Form auch immer in Höhe des Immobiliendarlehens bringen. Aber das ist ein anderes Thema.

Um den Vergleich mit D noch zu vervollständigen. Es wurde gepostet, dass in D erst die Zwangsversteigerung durchgeführt werden muss bevor die notleidende Immobilie an die Bank zurück geht. Das stimmt so nicht. Auch in D erfolgt nach der Kündigung ein Verfügungsverbot gegenüber dem Darlehensnehmer und auch hier ist de facto die Immobilie an die Bank (Gläubiger) zurückgefallen. Die Bank kann frei über die Immobilie verfügen, macht aber gerne Zwangsversteigerungen um zukünftigen Klagen gegen die Verwertung aus dem Weg zu gehen. Denn der in der Zwangsversteigerung erzielte Erlös wird mit dem gegenwertigen zu erzielenden Preis untermauert und gilt als Marktwert. Damit ist die Bank dann abgesichert.

.... Peter macht erstmal hier ein break.

Re: Vor die Tür gesetzt ...

Verfasst: Mi 14. Nov 2012, 17:07
von TorreHoradada
Im obigen Beispiel sind lediglich die reinen Hypothekenzinsen zu Grunde gelegt. Nicht eventuelle Aufschläge und / oder Gebühren.
Da ein variabler Zinssatz erfolgt auch keine Berechnung von Vorfälligkeitsentschädigung. Einzig ggf. noch irgendwelche Bearbeitungsgebühren für die Rückführung der Immobilie in das Bankenportefeuille.

Betrachtet man nun nicht nur die Beispielrechnung so liegt seitens der Bank(en) gleich ein mindestens doppeltes Vergehen bei der Vergabepraxis vor. Nämlich unverantwortlich gegenüber dem Darlehensnehmer gehandelt zu haben und unverantwortlich gegenüber sich selber durch das Ausfallrisiko. Denn als Ausfallsicherung hatte und hat keine Bank den Umsatz im Gegenwert und war somit auch schwebend insolvent.

Wobei, auch auf die Gefahr der Wiederholung, die Bevölkerung in Spanien als Wohneigentümer normal ist. So wie in den meisten skandinavischen Ländern und Amerika. Während in Deutschland historisch bedingt eine Mieterbevölkerung vorherrscht.

Re: Vor die Tür gesetzt ...

Verfasst: Mi 14. Nov 2012, 22:28
von Busbauer
Danke für das Beispiel !
Macht doch einiges klarer.....

Re: Vor die Tür gesetzt ...

Verfasst: Do 15. Nov 2012, 15:34
von Oliva B.
Am 9.11. schrieb ich:

Ministerpräsident Mariano Rajoy stellte heute die vorübergehende Aussetzung von Zwangsräumungen für die am stärksten betroffenen Familien in Aussicht. Am kommenden Montag werden Delegation der Regierung und der PSOE zusammentreffen, um dieses Thema zu besprechen.

  • "Angesichts der Folgen verzichten Spaniens Banken für zwei Jahre auf Zwangsräumungen bei einigen säumigen Schuldnern. Wie der Verband der spanischen Banken mitteilte, würden die Zwangsräumungen "in Fällen äußerster Not" ausgesetzt. Zuletzt hatten Selbstmorde vor anstehenden Zwangsräumungen Proteste in Spanien ausgelöst."


Wenigstens ein Fortschritt! Quelle

Re: Vor die Tür gesetzt ...

Verfasst: Fr 16. Nov 2012, 10:52
von sol
--und das nicht nur in Spanien--------
z.B. Bremen
Zwangsräumung einer Wohnung eskaliert –
Mieterin geht mit großem Küchenmesser auf Gerichtsvollzieher los –
SEK stürmt Wohnung und nimmt Frau fest!

http://www.nonstopnews.de/meldung/16064

Re: Vor die Tür gesetzt ...

Verfasst: Fr 16. Nov 2012, 21:21
von Range
Dies wird sich weiter wiederholen, wenn Politik und Banken im selben Ausmass weiter ihre Sünden tätigen.
Frage dabei bleibt, wie lange lässt der Bürger und Steuerzahler das mit sich geschehen?
Dieser Gedankengang veranlasst auch mich zum mehr als Nachdenken, wo bleibt da der dringend benötigte Mittelstand und dies in ganz Europa.

FG Range (Heinz)

Re: Vor die Tür gesetzt ...

Verfasst: Sa 17. Nov 2012, 19:51
von Oliva B.
Range hat geschrieben:Dies wird sich weiter wiederholen, wenn Politik und Banken im selben Ausmass weiter ihre Sünden tätigen.
Frage dabei bleibt, wie lange lässt der Bürger und Steuerzahler das mit sich geschehen?
Dieser Gedankengang veranlasst auch mich zum mehr als Nachdenken, wo bleibt da der dringend benötigte Mittelstand und dies in ganz Europa.
FG Range (Heinz)
Hallo Heinz,

dass die Bevölkerung sich gegen die Maßnahmen der Regierung auflehnt, zeigten der Generalstreik und die Massenproteste (nicht nur) in Spanien, wo mehr als 74 Menschen verletzt wurden, unter ihnen 18 Polizisten. In Spanien bezifferte das Innenministerium die Zahl der Demonstranten auf 800.000, während die Gewerkschaften allein in Madrid und Barcelona von zwei Millionen Teilnehmern sprachen. Quelle: Sueddeutsche


Im Fall der Zwangsräumungen wurde inzwischen bekannt, wer in Spanien davon in den nächsten zwei Jahren ausgenommen wird:

- kinderreiche Familien
- Eltern mit Kleinkindern
- Behinderte oder Arbeitslose
- alleinerziehende Eltern mit zwei Kindern
- Opfer von häuslicher Gewalt
- Familien, deren Jahreseinkommen unter 19.200 € liegt.

Quelle: Blick.

Re: Vor die Tür gesetzt ...

Verfasst: Sa 17. Nov 2012, 20:17
von TorreHoradada
Das ist zunächst einmal erfreulich zu lesen. Auch wenn ....

- sich die Regierung damit nur 2 Jahre Zeit verschafft den jetzigen sozialen Unmut abzubauen.
- auch den Banken damit "geholfen" wird weil sie diese Immobilien nicht negativ bilanzieren müssen.
- den betroffenem Personenkreis nicht wirklich die Last damit genommen wird.

Re: Vor die Tür gesetzt ...

Verfasst: Do 22. Nov 2012, 22:54
von Oliva B.
Die Zahl von 400.000 Zwangsräumungen, die in Presseberichten über Spanien die Runde machte, soll nicht der Realität entsprechen:

  • "Ein Vertreter des Wirtschaftsministeriums schätzte die Zahl der tatsächlichen Räumungen seit dem Platzen der spanischen Immobilienblase im Jahr 2007 auf „zwischen 4000 und 15.000“. Die Banken und Sparkassen teilten ihrerseits mit, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten zwischen September 2011 und 2012 zusammengenommen 2500 „problematische“ Fälle gehabt hätten."

Ganzer Artikel