Nochebuena en familia

Andalucía ist die südlichste Region Spaniens auf dem Festland.
Ihre Hauptstadt ist Sevilla.
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Frambuesa
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Nochebuena en familia

Beitrag von Frambuesa »

Erinnerungen an eine Zeit, in der uns noch vieles „spanisch“ vorkam

Heilig Abend 2011 in einem kleinen andalusischen Dorf

Hatten wir Antonio wirklich richtig verstanden, als er erzählte, dass am Heiligen Abend die ganze Nacht hindurch pausenlos gegessen wird? Wir essen ja wirklich ganz gerne, aber ununterbrochen? Und dann auch noch nachts? Wer hält das denn aus und - was sollte es denn da wohl alles geben?
Für uns war das alles recht ungewohnt, doch - andere Länder, andere Sitten.

Schon am Morgen wuselte Emilia mit Carmen, ihrer Tochter, zwischen Küche und Patio hin und her, schnippelten hier Gemüse, schuppten dort die Fische und dann kamen sie auch noch mit einem toten Kaninchen aus dem Stall. Es dauerte nicht lange, da zog verführerischer Duft bis zu uns herüber - nur an das tote Kaninchen durfte ich nicht denken.
Die Stunden vergingen und der Abend kam, der Heilige Abend, Nochebuena in einem kleinen Dorf in Andalusien.
Lustig flackerte das Feuer im Kamin als wir eintrafen. Außer Paulo, einem brasilianischen Freund und uns gab es keine weiteren Gäste; es war also in kleiner Kreis von überschaubaren 6 Personen. Fast unüblich für Andalusien, wo eigentlich immer die ganze riesige Sippschaft zusammenkommt.
Wir wurden an den runden Tisch gebeten und der Hausherr schenkte allen ein Glas Vino Tinto ein - Wasser gab es auch.
Die Konversation gestaltete sich zwar anfangs ein wenig mühsam, aber schon bald befanden wir uns in einem lustigen spanisch-portugiesisch-englischem Kauderwelsch. Und dann starteten die Damen des Hauses das pausenlose Weihnachtsnachtessen:
Mit einer Hühnersuppe fing es an. Darauf folgte jede Menge Salat. Bis dahin war ja alles noch in Ordnung. Doch dann löste eine Speise die andere ab; von Garnelen bis zum Bacalao, Lammkoteletts und Conejo en salsa (ohhhh mein armes Kaninchen), meist begleitet von in Olivenöl schwimmenden Bratkartoffeln, Zwiebeln und Paprika. Na klar, an Knoblauch wird hier natürlich auch nicht gespart. Das ging so etwa 3-4 Stunden lang im Wechsel. So ein Essen war für uns ungewohnt, aber sich davor zu drücken würde die Gastfreundschaft verletzen. Da müssen wir also durch. Als ich schon glaubte, gleich „platzen“ zu müssen, wurden die Teller wieder eingesammelt und ich atmete auf. Uff, geschafft, dachte ich, hatte die Rechnung allerdings ohne den Wirt gemacht:
Nun stellte der Hausherr einen großen Teller mit dem traditionellen Weihnachtsgebäck, Mantecados, Schokolade und Turrónes auf den Tisch und nötigte seine Gäste zum Zugreifen. Eins, aus Höflichkeit – ach nein, du musst das hier auch probieren, das hier ist mit Rotwein und das da mit Mandeln und so ging es immer weiter und mein Magen schien mittlerweile Ausbeulungen eines Kartoffelsackes anzunehmen.
Ein verstohlener Blick auf Jefe zeigte mir, dass es ihm nicht besser ging. Ich wollte nur noch nach Hause ins Bett.
Aber daran war noch nicht zu denken, denn nun kam die Tochter des Hauses mit einer Bisquitrolle – sah jedenfalls so aus - und ich dachte, na ja, so ein kleines Stückchen schaffst du auch noch. Neee, also das war für mich nun wirklich ungenießbar. Keine Ahnung, was das für eine Creme war, schmeckte jedenfalls unterirdisch und klebte wie Kleister am Gaumen. Wie gut, dass noch die Flasche Wasser auf dem Tisch stand.
Zum krönenden Abschluss der Nacht – es war so gegen 1:30 Uhr am Weihnachtsmorgen – köpfte der Hausherr eine Flasche andalusischen Schaumweins und nach einigen Trinksprüchen wurde dann die Tafel aufgehoben.
An Schlafen war in der Nacht nicht zu denken, denn zu schwer lag und das alles im Magen. Zwei Tage lang waren wir nicht in der Lage, irgendetwas zu essen.
Und nun bangen wir in jedem Jahr vor Weihnachten: Hoffentlich bekommen wir keine Einladung in irgendeine andalusische Familie. Solch ein Essen würden wir nicht noch einmal überstehen.

Diese Geschichte liegt zwar schon viele Jahre zurück, doch sie ist uns immer noch erschreckend präsent.
Saludos Frambuesa
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Scandy
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Re: Nochebuena en familia

Beitrag von Scandy »

Eine wunderbare Geschichte so fein formuliert.
Danke dafür!
:x
Scandy
Miesepeter
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Re: Nochebuena en familia

Beitrag von Miesepeter »

Erinnert mich an meine ersten Weihnachten in Madrid 1964 im Hause meiner damaligen Freundin. Da kam so einiges zusammen, so an die 20 Leute und nur enge Verwandte, u.a. 2 Jungs 5 und 7 Jahre alt (jetzt Fluglotse und Steuerinspektor). Es wurde ein enormes Gelage. Traditionell wird am Weihnachtsessen an auch gar nichts gespart. Der Rest des Jahres ist etwas anderes. Mein Spanisch war mehr als armselig. Auf die Frage nach meiner Schulbildung antwortete ich wahrheitsgemäß den Besuch eines Gymnasiums (Gimnasio) ohne zu ahnen, daß sowas in Spanien (nur) eine Turnhalle ist. Also wurde nachgehakt "ja, aber welche Schulbildung ich hätte....." Und natürlich musste von allem probiert werden, dazu jede Menge Vino und mit dem Nachtisch auch etwas schärferes. Am Ende waren wir alle angesoffen.
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Re: Nochebuena en familia

Beitrag von Oliva B. »

Da hast du wieder eine unterhaltsame Geschichte im großen Fundus deiner Erinnerungen gefunden, liebe Frambuesa. >:d<

Den Heiligen Abend haben wir noch nie in spanischer Gesellschaft verbracht, denn diesen Tag verbringen wir mit unserer Familie. Aber wir kennen dieses Füllhorn spanischer Köstlichkeiten, das zu anderen festlichen Anlässen ausgeschüttet wird. Da wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Ganz und gar nicht gerne wird gesehen, wenn der Gast sich ziert und nur verhalten zugreift, was vorher mit viel Liebe und großem Zeitaufwand in der Küche gezaubert wurde und mit Schwung aus dieser herausgetragen wirdBild. Was am Anfang des Festmahls noch flott die Kehle runterrutscht, wird zwei Stunden später schon zur Tortur. Aber gibt es nicht schlimmere Foltermethoden? BildDeshalb heißt es an diesen Tagen: „Augen zu und hoffen, dass es nach ein paar Stunden vorbei ist". [-o<
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Citronella
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Re: Nochebuena en familia

Beitrag von Citronella »

Eine köstliche Geschichte @ Frambuesa!

Ich kann es mir lebhaft vorstellen, wie du und Jefe gegen Mitternacht unruhig auf dem Stuhl hin und her rutschten, weil der Hosenbund zwickte und dann kommt auch noch die Bisquitrolle :-o :lol: .... Aber ein Schnaps setzt die Möbel wieder gerade ;;). So ein Erlebnis vergisst man nicht!

Saludos
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Re: Nochebuena en familia

Beitrag von Gänseblümchen »

Das ist eine sehr unterhaltsame und ein Lächeln ins Gesicht zaubernde Geschichte, oder besser gesagt …. Erinnerung.
Da kann man nur im Vorhinein schon 3 Tage nichts essen, wenn man so eine Einladung hat ;;)
um ein bisschen Raum zu schaffen für die Leckereien.

Liebe Grüße
….das Gänseblümchen….

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Scandy
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Re: Nochebuena en familia

Beitrag von Scandy »

Miesepeter hat geschrieben: Fr 7. Jan 2022, 19:58 Da kam so einiges zusammen, so an die 20 Leute und nur enge Verwandte
Es wurde ein enormes Gelage.
Ich hoffe, dass dieses sorglose Feiern schon Weihnachten 2022 wieder normal ist.

Traditionell wird am Weihnachtsessen an auch gar nichts gespart. Der Rest des Jahres ist etwas anderes. Mein Spanisch war mehr als armselig. Auf die Frage nach meiner Schulbildung antwortete ich wahrheitsgemäß den Besuch eines Gymnasiums (Gimnasio) ohne zu ahnen, daß sowas in Spanien (nur) eine Turnhalle ist. Also wurde nachgehakt "ja, aber welche Schulbildung ich hätte....." Und natürlich musste von allem probiert werden, dazu jede Menge Vino und mit dem Nachtisch auch etwas schärferes. Am Ende waren wir alle angesoffen.
Danke auch für Deine Weihnachtsgeschichte.
;;)

Scandy
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Re: Nochebuena en familia

Beitrag von maxheadroom »


Hola todos y Frambuesa,
eine schöne Geschichte , erinnert mich an verschiedene Ereignisse ähnlicher Art wo dann zur besseren Verträglichkeit irgendwelche
undefinierbaren Verdauungshilfe kredenzt wurden und man das Überleben eigentlich nur der "heiligen Nacht " zugeschrieben hat :lol:
Nochmals Danke für den netten Bericht der so manche ähnliche Episode wieder in meinem Biocomputer zum vorschein brachte :-D :)
Saludos
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Re: Nochebuena en familia

Beitrag von Frambuesa »

Scandy hat geschrieben: Fr 7. Jan 2022, 18:59 Eine wunderbare Geschichte so fein formuliert.
Danke für die
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Miesepeter hat geschrieben: Fr 7. Jan 2022, 19:58 Erinnert mich an meine ersten Weihnachten in Madrid 1964 im Hause meiner damaligen Freundin. …. Es wurde ein enormes Gelage. …
Auf die Frage nach meiner Schulbildung antwortete ich wahrheitsgemäß den Besuch eines Gymnasiums (Gimnasio) ohne zu ahnen, daß sowas in Spanien (nur) eine Turnhalle ist.
Herrlich, deine Weihnachtserinnerungen; ja, so etwas vergisst man nicht.
Überhaupt sind meine/unsere Erfahrungen die wir in den ersten Jahren in kleinen, Dörfern fernab jeglichen Tourismus gemacht haben, die schönsten, abenteuerlichsten und nachhaltigsten.
Übrigens hat es bei mir auch eine ganze Weile gedauert, bis mir die Bedeutung von Gimnasio klar war.
Oliva B. hat geschrieben: Sa 8. Jan 2022, 15:19 Ganz und gar nicht gerne wird gesehen, wenn der Gast sich ziert und nur verhalten zugreift, was vorher mit viel Liebe und großem Zeitaufwand in der Küche gezaubert wurde und mit Schwung aus dieser herausgetragen wirdBild.
. . . Deshalb heißt es an diesen Tagen: „Augen zu und hoffen, dass es nach ein paar Stunden vorbei ist". [-o<
Das ist ja das ganze Dilemma, man will ja nicht die Gastgeber kränken. Dann doch lieber den eigenen Magen etwas überstrapazieren. :((

Citronella hat geschrieben: Sa 8. Jan 2022, 15:36 . . . Und dann kommt auch noch die Bisquitrolle :-o :lol: .... Aber ein Schnaps setzt die Möbel wieder gerade ;;). So ein Erlebnis vergisst man nicht!
Nein, diese Bisquitrolle werde ich mein Lebtag nicht vergessen. Seitdem mache ich in Spanien einen Bogen um alles, was nach Creme aussieht und ganz besonders in der Weihnachtszeit.
Gänseblümchen hat geschrieben: Sa 8. Jan 2022, 16:47 Da kann man nur im Vorhinein schon 3 Tage nichts essen, wenn man so eine Einladung hat ;;)
um ein bisschen Raum zu schaffen für die Leckereien.
Schön, dass dir meine Geschichte gefallen hat.
Das mit dem 3 Tage vorher nichts essen um Platz im Magen zu schaffen funktioniert leider nicht - zumindest nicht bei mir. :sad:
Saludos Frambuesa
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Re: Nochebuena en familia

Beitrag von Frambuesa »

maxheadroom hat geschrieben: Sa 8. Jan 2022, 20:58
. . . erinnert mich an verschiedene Ereignisse ähnlicher Art wo dann zur besseren Verträglichkeit irgendwelche
undefinierbaren Verdauungshilfe kredenzt wurden und man das Überleben eigentlich nur der "heiligen Nacht " zugeschrieben hat :lol:
Mein Überleben habe auch ich sicher dem Wunder der „heiligen Nacht“ zu verdanken :lol:
Saludos Frambuesa
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