Meine Schwester und ich wurden in Lizenz in einer kleinen Textilfabrik irgendwo in der Türkei produziert. Vom Zuschnitt bis zur Endabnahme hörten wir immer wieder Worte wie: „Wunderbar, hervorragende Qualität, Exzellent.“
Da wir etwas ganz besonderes waren, wurden wir nicht wie andere Jeans gefaltet und in Kisten verpackt, sondern kamen auf einen Bügel und wurden auf einem Hosenständer, zusammen mit anderen Jeans ,direkt zum Transporter gerollt.
Die Fahrt ging nach Antalya. Hin und wieder hielt der Wagen vor einem Geschäft. Kisten wurden aus dem Frachtraum gehievt und hineingetragen. Lieferscheine mit Unterschriften wechselten den Besitzer.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, mir war schon ganz schummerig von der holperden Fahrt, hatten wir unser Ziel erreicht.
Unser neuer Besitzer nahm uns persönlich aus dem Transporter, begutachtete uns und hing uns zufrieden zu vielen anderen Hosen auf einen Ständer in seinem Geschäft.
Die ersten Tage waren hart. Da wir ganz vorn im Ständer hingen, vielen wir natürlich sofort jeder Kundin ins Auge. Damen mit ausladenden Hüften zwängten sich in uns hinein und versuchten uns über viel zu dicke Bäuche zu ziehen. Sie hielten die Luft an, zogen und zerrten weiter an uns, bis der charmante Verkäufer sie auf eine „viel schönere Jeans“ aufmerksam machte. Manches Mal schrieen wir auf vor Schmerz und hatten das Gefühl, jeden Augenblick zerrissen zu werden. Aber wir lernten schnell. Fortan hatten wir uns ganz hinten auf dem Ständer einen Platz ergattert, und versuchten uns unsichtbar zu machen.
Dann kam unser Tag. Eine kleine blonde Frau betrat den Laden. Ich taxierte sie mit geschulten Blicken und wusste, die könnte es sein. In Windeseile nahm ich meine Schwester ans Bein und drängelte mich mit ihr an allen anderen Jeans ganz nach vorn. Die empörten Worte und wüsten Beschimpfungen der anderen Hosen ließen mich völlig kalt.
Ich brachte uns auf dem Ständer zum Schwingen und plötzlich hatte ich die volle Aufmerksamkeit der kleinen Blonden. Sie wollte mich vom Ständer nehmen. Doch klugerweise hatte ich mich um das linke Bein meiner Schwester geschlungen, so dass sie uns beide nehmen musste.
„Wow“, sagte sie, „die sind genau das, wonach ich gesucht habe.“ Zärtlich befühlte sie den Stoff, hielt uns auf Armeslänge von sich und betrachtete uns lächelnd. Der nette Verkäufer fragte, ob er behilflich sein könnte. „Ja, Danke, ich würde gern diese beiden Jeans probieren.“ Er zeigte ihr die Umkleidekabine. Kurze Zeit später kam sie heraus und fragte: „Haben sie die auch etwas kleiner? Sie sitzen perfekt, aber in der Taille sind sie zu weit und die Beine sind zu lang.“ „Nein, kleiner haben wir sie leider nicht. Aber wenn sie ansonsten perfekt passen, ist es kein Problem sie zu ändern. Ich stecke sie ab, dann gebe ich sie zu unserer Schneiderin und in einer halben Stunde ist alles fertig“. „Wirklich? Das ist ja Prima.“
Noch einmal ließen wir die schmerzhafte Prozedur der Nadelstiche über uns ergehen. Eine letzte Anprobe, wir saßen wie für sie gemacht.
Von da an änderte sich unser Leben. Wir wurden fast täglich getragen, sahen andere Städte, bereisten die Welt. Wurden gewaschen, gehegt und gepflegt. Egal wo hin es auch ging. Wir waren immer dabei. Der Rest der Garderobe im Kleiderschrank der Blonden war eifersüchtig und stinksauer. Manche Teile hingen dort schon seit Jahren und wurden nicht getragen.
Nach sechs aufregenden Jahren bereiteten wir uns langsam aber sicher auf den Hosenhimmel vor. Unser Material war brüchig geworden. Die ersten Risse im Stoff waren aber noch lange kein Grund, uns zu entsorgen. Liebevoll nähte die Blonde uns witzig geformte Flicken auf. Doch kaum war dies geschehen, gab es den nächsten Riss und den nächsten. Sie wollte nicht wahrhaben, dass unsere Zeit vorbei war. Wir waren müde, alt und verbraucht. Welche Jeans wird schon sechs Jahre alt?
Kurz und gut, letztes Jahr ließ sie uns gehen. Wir sind jetzt im Himmel und können auf ein schönes, erfülltes, aufregendes Leben zurückblicken.
Wahr ist: Diese Jeans gab es wirklich. Nie wieder habe ich etwas Ähnliches gefunden.

Unwahr ist: Meine Jeans konnten nicht sprechen.
