Crazy Nihon

Weltenbummler berichten über ihre Reiseabenteuer in andere Weltteile
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pichichi
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Crazy Nihon

Beitrag von pichichi »

das liebend Weib will euch über Japan berichten, bitte sehr:

Wer sich Wien nähert blickt auf den Stadteinfahrten auf Schilder mit dem Text: „Wien ist anders“.
Gut, dieses banale Statement könnte jede x-beliebige Kapitale oder Region über sich abgeben, aber meiner Meinung nach steht das Prädikat „anders“ jenem Fernoststaat zu, der auch als "Land der aufgehenden Sonne" bekannt ist: Japan, oder Nihon, wie die Einheimischen sagen...

in der Finnair Business nach Narita

VIE-HEL-NRT steht auf dem elektronischen Ticket der Finnair, deren Angebot, in ihre Business Class - nach dem Motto: Einer zahlt, zwei fliegen – einzusteigen, selbst mein skeptischer Mann, der lieber naturbelassene, exotische Ziele wie die Galapagos, Patagonien oder Alaska ansteuert, nicht ausschlagen konnte, schon gar nicht als Geschenk zu seinem runden Geburtstag. Da die Flugroute über Nordsibirien führt, dauert es im Airbus 340 nur angenehme neun Stunden, bis wir auf dem Megaairport Narita 80 km nordöstlich von Tokio aufsetzen. Der Nachtflug sorgte auch dafür, dass sich trotz der West-Ost Flugrichtung (Zeitunterschied 7 Stunden) nach der Landung kaum Jetlagsymptome zeigten. Einreiseformalitäten mit Fingerabdruck sowie der Zoll sind flott absolviert.

Tokio

Da wir individuell angereist waren, mussten wir selbst für den Transfer zu unserem Hotel „Blue Wave Inn“ im Bezirk Asakusa (sprich: Assack'sa) sorgen, mein reisetechnisch begabter Mann hatte schon ausgekundschaftet, dass dafür die private Keisei-Eisenbahnlinie mit einmaligem Umsteigen in die U-Bahn ab Aoto die günstigste (Yen 1290) und schnellste Lösung wäre, schließlich kosten die Taxen bis zu 25000 Yen, das sind nach dem verfallenden Kurs unserer Einheitswährung ca. € 230, also nicht gerade eine Mezzie.

Ja, überhaupt das Geld: wegen des extrem hohen Lebensstandards herrschen entsprechende Löhne und Preise, Mieten und Parkgebühren sind astronomisch, ein Glas Bier um bis zu € 8 erinnert an die Münchner Wies'n, nur ist da kein Liter Kirin oder Asahi drin sondern bloß ein Seidl (0,33 l), vom Kobe- oder Wagyu Beef und dem roten Maguro-Tun gar nicht zu reden, auch die neuesten Elektronikgadgets sind teurer als daheim! Man hätte vor zwei Jahren reisen sollen, da gab es noch mehr als 160 Yen für den Euro...
Zurück nach Narita: wir schaffen es, aus einem Automaten, der auch unsere Schriftzeichen kennt, zwei Tickets zu ziehen, finden auch die Einstiegsstelle für den Keisei und rattern gemütlich in einer Art Vorortezug durch Ortschaften, zwischen denen einige saftige Reisfelder liegen, dem 38 Millionen Ballungsgebiet entgegen, wir lesen die Stationen mit und steigen auch am richtigen Bahnhof aus, um die letzten Kilometer mit der U-Bahn zurückzulegen, meine einheimische Sitznachbarin hat uns zum Glück das richtige Gleis gezeigt, OberschülerInnen, die wir am Perron englisch angesprochen haben, konnten uns nicht verstehen, aber zu den micht vorhandenen „Fremdsprachenkenntnissen“ der Söhne und Töchter Nippons komme ich noch....

Sightseeing mit Rotkäppchen

Da wir im Google Streetview entdeckt hatten, dass es vom Bahnhof Asakusa nur ein lockerer, fünfminütiger Spaziergang zum gebuchten Hotel war, legten wir diesen mit unserem rollenden Minimalgepäck ohne Probleme zurück. Im Hotel trafen wir auf Joachim, seines Zeichens Japanaloge und deutscher Expat, der unser Reiseleiter für die neuntägige „Best of Japan“ Tour sein sollte. Wenn sich jetzt jemand fragt, warum wir als eingeschworene Individualreisende in einer 23-köpfigen Gruppe Japans Schönheit erkundeten, so sei gleich einmal festgehalten, dass es außerhalb der Großstädte für Nichtschrift/Sprachkundige hoffnungslos in die Irre gehen würde, auch Mietwagenfahrten, die sonst in jedem zivilisierten Land der Welt problemlos zu absolvieren sind, scheitern nicht nur an den unverständlichen Verkehrsschildern, sondern auch schon an der Bürokratie, überhaupt als Ausländer einen Wagen in Betrieb nehmen zu dürfen. Haben es schon die Einheimischen schwer genug, denn wer keinen eigenen Parkplatz besitzt, darf schon gar kein Fahrzeug anmelden, was aber auch sein Gutes hat, denn die Megalopolis erstickte sonst im täglichen Verkehr.
Wir erkunden noch den in unmittelbarer Nachbarschaft gelegenen Kannon-Tempel, in dessen innerstem Schrein ein Abbild der Göttin der Barmherzigkeit vermutet wird, vermutet deswegen, weil es nicht einmal dem Hohepriester gestattet ist sie zu sehen, geschweige denn einem ungläubigen Gaijin, wie wir ausländische Langnasen bezeichnet werden.
Die Gläubigen beten draußen um Glück und werfen Münzen in eine offene, durch hölzerne Querstäbe gesicherte Truhe, die benachbarte fünfstöckige Pagode ist fast 50 Meter hoch und zählt zu Japans größten Baudenkmälern. An der Nakamise-dori gibt es unzählige Buden und Souvenirläden, an einem Weihrauchgefäß fächern sich die Leute den Rauch glimmender Stäbchen ins Gesicht, das schützt angeblich vor Krankheiten und anderen Problemen. Am Ende der dori steht ein Tor mit den Köpfen der Wind-und Donnergötter, von dessen Querbalken ein riesiger Lampion hängt, hier stauen sich die Massen, um von sich und anderen Fotos machen zu lassen.
In einer Seitengasse der Nakamise finden wir ein winziges Esslokal, das für die unbedarften Touris seine Speisen in prächtig bemalten Gipsmodellen präsentiert, eine Speisekarte in unserer Schrift kennt man nicht, auch Minimalkenntnisse einer Fremdsprache sind nicht vorhanden, daher zahlt es sich aus, dass wir nach dem Zeigen auf die ausgewählten Speisen (Ramensuppe mit Einlage und Tempurashrimps) wenigstens „ni Asahi“ bestellen können, die Halblitergläser des köstlichen Biers kosten je 630 Yen, das Essen ist dagegen moderat teuer, beim Bezahlen wird das Wechselgeld auf den letzten Yen rausgerückt, Trinkgeld ist in dieser Kultur unerwünscht.

Wir schlafen gut in unseren Hotelbetten, wundern uns morgens über die Nummernausgabe beim Frühstück, das sowohl japanische als auch westliche Varianten bietet und sitzen am nächsten Morgen in einem Bus mit 21 großteils reiferen Bundesbürgern und eben Joachim, dem „Rotkäppchen“, ob seines markanten Käppis, mit dem er uns die kommenden Tage winkend durch das Menschengewühl bei den Sehenswürdigkeiten lotsen wird.
Dass der sympathische Typ als graduierter Japanaloge was drauf hat wird uns schon in seinem Eröffnungssermon klar: effizient und dabei überaus humorvoll schildert er seine japanischen Erfahrungen als Angestellter einer Porzellanmanufaktur und Reiseleiter für europäische Veranstalter und macht uns wie Rekruten mit der nicht immer angenehmen Logistik der Rundreise vertraut, schließlich sei Zeit Geld, vor allem und besonders im übervölkerten Japan. Wir würden abends unsere brennenden Schuhsohlen spüren, einen Kulturschock ob der Sitten und Gebräuche erfahren und mit offenen Mündern die Preisschilder der exklusiven Produkte der Luxushersteller im Ginzaviertel bestaunen.

Ich erinnere mich an die vom Veranstalter in den Reiseunterlagen empfohlenen € 4 pro Tag und Person Trinkgeld für ihn und kann jetzt schon sagen, dass ich am Ende der Reise sogar noch was drauflege, weil dieser Mann von 45 sein Wissen so selbstverständlich unüberheblich rüberbringt und generös immer und überall auch dümmste Zusatzfragen beantwortet. Darüber hinaus stellt er laufend intellektuelle Zwischenfragen und regt damit fern jeden „Frontalunterrichts“ seine Kundschaft zum Mitdenken und zum Verständnis dieser doch so fremden Kultur an.
Das führt uns zur Homogenität unserer Mitreisenden: Studienreisen in der Gruppe haben immer besondere Schwachpunkte, da gibt es einmal den Typus des oberlehrerhaften Besserwissers, der sich akribisch in Bibliotheken von (meist veralteten) Reiseführern eingelesen hat und vermeintliche statistische Unerheblichkeiten prompt reklamiert, weiters treten da senile, mit Schmuck behängte Matronen auf, die einzelreisend behandelt werden wollen und schon nach fünf Minuten das flotte Marschtempo nicht mithalten können oder wollen, obwohl in der Veranstalteraussendung extra darauf hingewiesen wird, dass es mit täglichen Marschstrecken von 4-5 Kilometern treppauf, treppab eben keine Kaffeefahrt sei. Ansonsten haben wir aber Glück, es sind großteils Paare mit ähnlichen Reisevorstellungen wie wir, die nicht jeden Schrein aus siebenundzwanzig Kamerapositionen knipsen müssen, keine Rebhuhnblasen haben, auch nicht jeden Souvenirshop plündern müssen. Im Laufe der Zeit tauschen wir unsere Erfahrungen über bereits bereiste exotische Ziele aus und versichern uns späteren Kontakts wegen Insiderinfos für noch unbekannte Destinationen.

Kaiserpalast und City

Erstes Ziel ist der Kaiserpalast in einer weitläufigen grünen Oase im Zentrum, der für Besucher nur an zwei Tagen im Jahr zugänglich ist, aber die Dimensionen der Anlage mit hohen Mauern und Burggraben sind auch von außen eindrucksvoll, das Roppongiviertel im Südwesten der Stadt steht danach auf dem Programm, wir erklimmen den Hilltower Wolkenkratzer per Superspeedlift und verschaffen uns einen 360° Rundblick von der Aussichtsterrasse in 238 m Höhe auf diese Megacity, besuchen im Schnellgang die Mori-Ausstellung mit eindrucksvollen Impressionistengemälden von Monet über Cezanne bis van Gogh und sitzen bald wieder im Bus zum Meiji Schrein, dessen Namensgeber die Verbindung des Kaiserhauses zur Nationalreligion des Shintoismus symbolisiert. Eine typische Hochzeitsgesellschaft in traditionellen Kostümen und Frack können wir hier ebenfalls bewundern.
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Auf einer leicht verregneten Flussfahrt auf dem Sumida nähern wir uns wieder dem Asakusa Viertel, bewundern noch am gegenüberliegendenen Flussufer die futuristischen Gebäude der Asahi-Brauerei, bevor wir in der Delikatessenabteilung einer Kaufhauskette unser Nachtmahl in Form von Sashimi und Sesamtempuragarnelen erstehen, der Rotwein dazu ist ein Shiraz aus Chile und mit umgerechnet € 13 im Verhältnis zum teuren Bier überraschend günstig.
Abends folgt ein Bummel im Einkaufsviertel Ginza, wir staunen ob der neuesten 3D-Technik im Sony-Haus und schauen ein paar Minuten mit Spezialbrillen fantastisch scharfe Bilder mit „Tiefenschärfe“.

Nikko

Tag vier (fakultativ) sieht uns auf der Fahrt nach Nikko (120 km nördlich von der Hauptstadt), dessen Tempelbezirk im Nationalpark zum Weltkulturerbe der UNESCO zählt, die Schreine sind farbenprächtig und die drei Buddhastatuen beeindruckend, es fehlt auch nicht ein Besuch bei den berühmten „Drei Affen“, die Teil eines Lebensfrieses beim Rinnojitempel sind.
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Im Bus zum Fuji

Kamakura liegt eine Stunde Fahrzeit südwestlich von Tokyo am Pazifik, wo wir die Statue des großen Buddha bestaunen, danach entdecken wir im Hasederatempel skurrile Ministatuen, die an Föten erinnern sollen, die abgetrieben wurden, auch der umgebende Garten bietet schöne Fotomotive und eine Katze, die zum Vergnügen der vielen anwesenden Schüler solange mit einer Kröte spielt, bis sie ein Aufseher vertreibt.
Den Nachmittag verbringen wir im Fuji-Hakone Nationalpark bei einer Bootsfahrt und einem Besuch der vulkanischen Eruptionszone, wo für die Besucher Glückseier in den heißen Schwefelquellen schwarz gesotten werden.
Fuji Nationalpark
Fuji Nationalpark
im flotten Shinkansen

Tag sechs bringt einen weiteren Höhepunkt unserer Reise, eine Fahrt im Bullettrain Shinkansen, der uns mit bis zu 230 kmh zuerst zur mittelalterlichen Samuraiburg in Himeji bringt, nach deren Besichtigung setzen wir die Fahrt mit dem bequemen wie pünktlichen Zug nach Hiroshima fort, unser vorausgeschicktes Gepäck ist schon im Hotel, wodurch umständliche Manipulation im Superzug vermieden werden konnte.
Zu diesem Zug ist zu sagen, dass es drei Typen gibt, den „einfachen“ Kodama (Geist), der fast überall hält, den flotteren Hikari (Licht) und den superschnellen Nozomi (Gedanke), wir fuhren in den letzteren. Die für die japanischen Logistikweltmeister typische Effizienz zeigt sich in der Pünktlichkeitsstatistik, die ihresgleichen sucht, so kam eine Linie im ganzen Jahr 2006 auf gerade sechs Sekunden (!) Verspätung. Ein Zugsführer, der mehr als fünfzehn Sekunden aufreißt, muss zum Rapport und der Gesichtsverlust nach einem (unverschuldeten) Unfall war für einen Fahrer nicht zu verkraften, er beging Selbstmord...
An diesem Punkt möchte ich einflechten, dass die besonderen Ehrencodici der japanischen Gesellschaft für uns Westler vielfach nicht nachvollziehbar sind, umso mehr viele Sitten und Gebräuche noch von den Samurai mit ihren Shogunen stammen, in Japan gilt ein Individualist als Außenseiter und Egoist, die Familie und der Arbeitsplatz sind die lebensbestimmenden Gemeinschaften, das führt sogar soweit, dass die Tagesarbeitszeit ebenso freiwillig auf zehn und mehr Stunden ausgedehnt wie der zustehende Urlaub faktisch nie konsumiert wird, die Philosophie lautet: „wer sich nicht für die Firma aufopfert hat wohl kein Interesse an ihr...“
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die spinnen, die Japaner

Diese brutale Arbeitswelt hat z.B. für Frauen, die hochgebildet nach einer kurzen Karriere mit 30 Ehegattinnen und Mütter werden wollen, keine weitere Verwendung, nach dem ersten Kind wird erwartet, dass sie in Hinkunft ihre Zeit an der Babykrippe und in der Küche verbringen - was für eine Ressourcenverschwendung im Bildungsbereich!
Da die Pendlerzeiten mit bis zu vier Stunden täglich extrem sind - manche wohnen in Vorstädten wegen der billigeren Mieten – müssen Männer nach einem langen Arbeitstag oft in „Schuhschachtelhotels“ übernachten, wenn sie den letzten Zug um Mitternacht verpassen, deren „Zimmer“ sind de facto nur Boxen mit den Maßen 180x50x50 cm!
Es gibt eine Unzahl von weiteren Eigenheiten, wobei die Sockenpflicht im trauten Heim auf den Tatamimatten noch nachvollziehbar ist, die unhygienische Kloschuhpflicht schon weniger, absurd scheint nachgerade das Verbot der Verwendung von Seife oder Duschgel im öffentlichen Bad, weil man ja ausrutschen könnte, gleichzeitig wird in den Onsen, den nach Geschlechtern getrennten Bädern absolute Körperreinigung verlangt, bevor man – nackt natürlich - ins Becken geht. Der in Japan lebende und leidende Deutsche Christoph Neumann hat ein schlankes, humorvolles, leicht überzeichnetes kritisches Büchlein verfasst, dass noch vor Lonely Planet oder Dumont Reiseführern von mir als Pflichtlektüre vor einer Japanreise empfohlen wird: „Darum nerven Japaner: der ungeschminkte Wahnsinn des japanischen Alltags“, die dafür bei Amazon investierten € 7 sind jeden Cent wert.
Aus der Kurzkritik: „Wußten Sie, dass ein japanischer Handelsvertreter an einem erfolgreichen Arbeitstag bis zu 50mal die Hausschuhe wechseln muß? Dass er mit diesen Hausschuhen aber nicht aufs Klo seiner Gastgeber darf? Und dass - sollte er in Strümpfen auf den Kacheln zu Schaden kommen - japanische Rettungssanitäter vor der Wohnnung erst die Schuhe ausziehen werden, bevor sie zur Wiederbelebung ansetzen?“

Hiroshima, mon amour

Zurück zur Reise: wir sind inzwischen in der modernen Stadt Hiroshima angekommen, die am 6. August 1945 von der ersten amerikanischen Atombombe namens „Fat Boy“ dem Erdboden gleichgemacht wurde, von unserem Hotelzimmer im „Suntour“ können wir in ein paar hundert Metern Entfernung das Skelett der ehemaligen Industrie- und Handelskammer erkennen, wo wir bald von einem Überlebenden seine persönliche Geschichte erzählt bekommen, der im Leib seiner Mutter als noch Ungeborener in ein Spital eingeliefert und ans Licht einer strahlenverseuchten Welt geholt wurde. Der 200000 Opfer wird im Friedensmuseum und im umliegenden Friedenspark beeindruckend gedacht.
Den Nachmittag verbringen wir nach einer Tram- und Fährfahrt auf der heiligen Insel Miyajima mit dem leuchtend roten, im Wasser stehenden Tor des Itsukushimaschreins, der schönsten Shintostätte Japans. Unzählige Schulklassen tummeln sich hier, zwischen ihnen versuchen zahme Rehe ein gereichtes Reis-Plätzchen zu ergattern, auch dürften sie an Zellulosemangel leiden, da sie ständig versuchen, nach allen Papiersachen, die die Touristen bei sich tragen, zu schnappen...
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Abends begleitet uns Joachim in ein typisches Okonomiyaki Restaurant auf eine „Japanische Pizza“. Dieses preiswerte und bekömmliche Gericht wird vor einem auf einer heißen Platte bereitet, es hat zwar wenig mit einer herkömmlichen Pizza zu tun, eher mit einem Riesenwrap, in dem Buchweizennudeln, Gemüse und Shrimps gebraten enthalten sind, nachher versuchen wir uns erstmals an Sake, und zwar in der besten Qualität, der eiskalt serviert wird, aber meiner Meinung nach zwar rund nach Alkohol schmeckt aber absolut keinen Eigengeschmack hat, als zuletzt noch die Ladenbesitzerin die normale, warm servierte Variante spendiert, stelle ich das Glas nach dem ersten Schluck angewidert ab.

Kyoto

Wir fahren die Strecke nach Kyoto im Bus, alle zwei Stunden gibt es an Raststätten die obligate Pinkelpause, man kommt mit den Reisegenossen ins Gespräch und hört von einigen, dass sie ob des unterschätzten Reisestresses bereits konditionell am Zahnfleisch gingen, ich pflichte ihnen bei, da ich selbst keine großartige Wandererin vor dem Herrn bin, aber wir sind uns einig, dass die Sehenswürdigkeiten und die Landschaft jede Strapaze wert sind, nach drei weiteren Nächten würden wir ohnehin in unseren Flugzeugen nach Europa sitzen.

Nara liegt nördlich von Kyoto und war die erste Hauptstadt Japans, danach folgte um 800 unserer Zeitrechnung Kyoto und erst weitere 800 Jahre danach Edo, das fortan To-Kyo, die östliche Hauptstadt, genannt wurde. Das wie Chaos wirkende Busaufkommen hat System, wir steigen aus und der Bus rückt inzwischen alle fünf Minuten weiter, bis er am Kopf einer Schlange angekommen ist, in diesem kurzen Zeitfenster müssen wir auch wieder zurück sein, um die Abfahrt nicht zu verzögern.
Inzwischen besichtigen wir den Daibutsu, die größte bronzene Buddhastatue Japans und der Welt im riesigen Todaiji-Tempel, dem - man ahnt es - größten hölzernen Bauwerk der Welt.
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Entlang tausender bronzener und steinerner Laternen steigen wir noch zum Kasugaschrein hinauf, wieder grasen zahme Rehe in der Umgebung und warten auf fütternde Touristen, ein besonders vifes wartet direkt am Verkaufsstand für die Futterkekse...
Von vielen Reisenden wurde uns Kyoto als die schönste Stadt Japans beschrieben und nach den drei Tagen vor Ort können wir dieses Urteil voll unterschreiben. Das einzigartige kulturelle Erbe manifestiert sich in den wunderschönen Tempeln und Zengärten. Ryoanji und Kinkakuji sind die absoluten Highlights, der penibel gerechte Steingarten des ersteren und der von Moosgärten umgebene Goldtempel des letzteren unterstreichen die These, dass man sich das Beste einer Reise für zuletzt aufheben solle.
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Im Geishaviertel treffen wir auf junge Maikos, die noch in der fünfjährigen komplizierten Ausbildung stehen. Bei einem Shoppingtrip durch das Handwerkerviertel erstehen wir ein teures Keramikmesser der Firma Kyocera, unser einziges Mitbringsel von dieser Reise. Wir fahren mit der U-Bahn drei Stationen vom „Aranvert“ Hotel und entdecken im architektonischen Wunder des Bahnhofs eine Filiale der Isetan-Kette, deren Delikatessenabteilung vom reichhaltigen Angebot die unglaublichste darstellt, die uns je untergekommen ist – und wir haben uns schon durch Harrods und KaDeWe gefressen ;-)

Bis auf das gemeinsame Abschiedsessen der Gruppe am letzten Abend haben wir in diesem Paradies für hedonistische Gourmets unseren „Proviant“ gekauft, wie üblich als Fischfans exzellentes Sashimi vom Maguro, Butterfisch und Lachs, Tempuragemüse, Honigschinken, dänisches Brot, ein Mangomoussedessert, von dem ich noch heute schwärme, das hubbie entdeckte zu seiner großen Freude einen leistbaren Cabernet Sauvignon von der chilenischen Kellerei Montes, die uns ob ihrer aufwändigen Vinifizierung von einer unserer Südamerikareisen in Erinnerung geblieben ist.
KIX-HEL-HAM steht auf dem elektronischen Ticket der Finnair, die uns vom ins Meer gebauten Kansai-Flughafen Osakas über Helsinki nach Hamburg bringen wird, wo wir verwandten Nordlichtern noch einen Besuch abstatten, bevor wir wieder in Schwechat heimatlichen Boden betreten, beladen mit einer Fülle von Erinnerungen und einer fast vollen Speicherkarte in der neuen Panasonic TZ 10, die wir noch am selben Abend in den 42“„Viera“ stecken, um in einer Diashow in HD-Auflösung die vielfältigen Eindrücke aus diesem doch so fremden Land Revue passieren zu lassen.

Praktische Tipps:

Reisezeit: wem es möglich ist, der sollte entweder zur Sakura, der Kirschblüte, oder zur Laubfärbung im Herbst anreisen, allerdings urlaubt zu diesen Zeiten auch halb Japan, was entsprechende Hochsaisonpreise zur Folge hat. Wir hatten Ende Mai/Anfang Juni Glück mit dem Wetter, die dann übliche Regenzeit mit der hohen Luftfeuchte hatte noch nicht begonnen.

Einreise: Formulare für die kostenlosen Visa (bis zu 90 Tage gültig) füllt man im Flugzeug aus, bei der Ausreise wird der eingeheftete Abschnitt wieder herausgetrennt, Fingerabdrücke werden genommen und ein Foto geschossen.
Elektrizität: 110V, amerikanischen Flachstecker verwenden

Geld: schon daheim Yen kaufen, da es kaum Bankomaten gibt, die unsere Maestrokarten akzeptieren, ich hab es einmal in einer Postfiliale getestet, nur dort funktioniert es.
Begrüßung: es wird keinesfalls ein Handschlag angeboten, ein freundliches Lächeln mit knapper Verbeugung ist angebracht

Taxifahrten: die hinteren Türen werden nur vom Fahrer geöffnet, Zieladresse mit japanischen Schriftzeichen mitnehmen
Emotionen: am besten keine zeigen, Probleme werden lächelnd übergangen, das Harmoniebedürfnis der Japaner ist besonders ausgeprägt

Essen: Japaner legen viel Wert auf den Eigengeschmack der Speisen, man wundere sich nicht über die Sitte, dass zum Abschluss des Essens völlig geschmackloser Reis und Suppe gereicht wird. Wer absolut untalentiert mit den Stäbchen ist, sollte Gabel und Messer – nicht im Handgepäck – von daheim mitbringen. Wir haben einmal in einem Teriyakilokal exzellentes marmoriertes Fleisch gegessen, das wir nach Anweisung selbst nach und nach über einem Gasbrenner im Wok mit Sojasauce, Wasser und Gemüse zubereitet haben.
(U)-Bahnfahren: mit einer Wähltaste am Automaten die englischsprachige Anzeige aufrufen, am Fahrplan schauen, wieviel es zur jeweiligen Station kostet und passend Münzen einwerfen oder einen Geldschein einführen, Ticket und Restgeld werden ausgeworfen. Beim Passieren der Sperren den Fahrschein einführen, weitergehen und beim nächsten Schlitz wieder ziehen. Falls man irrtümlich zu wenig Geld auf der Fahrkarte geladen hat, bleibt die Sperre zu, aber man kann beim Stationswart nachzahlen.

Fischmarkt: wir haben ihn nicht besucht, da es in letzter Zeit Probleme mit unbedarften Touristen gab, wodurch die Besuchsvorschriften sehr streng wurden
Kloschlappen: nach Besuch der Toilette wieder an der Tür abstellen, vergisst man das, begeht man den GAU eines Fauxpas

Klotechnik: mit großen Augen konstatierten wir die Hightech Muscheln in japanischen Klos, lustige Symbole wie Arschbacken oder ein Frauenkopf zeigen die Bedienknöpfe für die Hinternwasch- und Bidetfunktion, die Wassertemperatur und – intensität ist dabei individuell regelbar.
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Ab einem Einkauf von 10000 Yen wird die 5%ige Mehrwehrtsteuer gleich im Geschäft vergütet, der Reisepass muss zum Eintrag (zwecks Ausfuhrkontrolle beim Zoll) vorgelegt werden.

Pachinko: DIE Leidenschaft der glücksspielsüchtigen Japaner, man sitzt bei geschätzten Vuvuzeladezibel in kakaphonen Räumen voller blinkender und kreischender Automaten und wirft Eisenkugeln in die Geräte, Gewinne werden nur in Sachpreisen ausgegeben.
Telefon und Internet: teuer und das eigene Handy kann daheim bleiben, es sei denn es ist für das seltene UMTS Netz geeignet, man kann aber auf Vorbestellung Mobiltelefone mieten oder mit Kartentelefonen nach Hause anrufen (Vorwahl je nach Anbieter verschieden, z.B. 001, dann 49 für D oder 43 für A, dann Vorwahl ohne 0 und die Nummer). Kostenfreies LAN haben alle Hotels auf unserer Reise gehabt, also ein Netbook mit Kabel versieht gute Dienste und bietet neben Mailchecken auch die Möglichkeit, über Nachrichtenportale Neues aus der Heimat zu erfahren, da sämtliche TV Geräte in unseren Zimmern keine ausländischen Programme zeigten.


Brauchbare Reiseliteratur:
Dumont Kunstreiseführer Japan

Lonely Planet
Marco Polo Führer (handlich, mit vielen Karten und Insidertipps)
sol
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Re: Crazy Nihon

Beitrag von sol »

Hola Herbert und liebend Weib

interessante Lektüre--- にほんへいきますか。 日本へ行きますか。

irgendwo schon mal gelesen--------------------
http://www.google.de/url?sa=t&rct=j&q=c ... 0085,d.Yms
Zuletzt geändert von sol am Mo 12. Aug 2013, 13:14, insgesamt 1-mal geändert.
Gruss Wolfgang
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Re: Crazy Nihon

Beitrag von pichichi »

sol hat geschrieben:Hola Herbert und liebend Weib

interessante Lektüre--- にほんへいきますか。 日本へ行きますか。
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Re: Crazy Nihon

Beitrag von nixwielos »

Supertoller Bericht, wir haben mehr als geschmunzelt :lol: - gleichzeitig sehr, sehr informativ, herzlichen Dank für dieses Posting! >:d< Bei Euch wär ich gerne mal Handgepäck, denn Ihr unternehmt spannende Reisen und das Geniessen ist großgeschrieben - das lieben wir!
Viele Grüße von Nicole und Stefan!
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Citronella
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Re: Crazy Nihon

Beitrag von Citronella »

@ pichichi,

lieben Gruß und ein dickes Dankeschön an dein liebend Weib - sie hat eine tolle Schreibe und es macht Spaß, euch auf euren Reisen zu begleiten!

Saludos
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Re: Crazy Nihon

Beitrag von pichichi »

das l.W. dankt euch und war wie ich als Toskanaliebhaberin speziell von Nicoles Homepage angetan!
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Oliva B.
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Re: Crazy Nihon

Beitrag von Oliva B. »

@ Pichichi & l.W.
Globetrotter kommen bei euren Reiseberichten voll auf ihre Kosten.
Nach dieser Beschreibung kann ich mir Japan sparen, bin ja schon (zumindest gedanklich) dabei gewesen. :d
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Josefine
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Re: Crazy Nihon

Beitrag von Josefine »

Nun bin ich endlich dazu gekommen, diesen interessanten Japan-Reisebericht zu lesen. Sehr interessant! 8-)
Vielen Dank dafür.

Grüße :)
Josefine
Gruß Josefine :)
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ville
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Re: Crazy Nihon

Beitrag von ville »

Hallo pichichi,

habe hiermit einen weiteren eurer praktisch druckreifen Berichte gelesen. Da kommt keine Langeweile auf!!
Vielen Dank auch für's Mitnehmen ....

Gruß ville
„Die Welt ist ein Buch, und wer nicht reist, liest davon nicht eine einzige Seite.“
(wusste bereits Augustinus Aurelius, 354 – 430, Philosoph)
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